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Kindererziehung: Wie die Kleinen zu sozialen Wesen werden
Text: Julia Fischer-Colbrie

Ein Appell für mehr Gespür

Kindererziehung: Wie die Kleinen zu sozialen Wesen werden

Wie das klappt? Indem man Kindern auf Augenhöhe begegnet, authentisch agiert und ihre Individualität akzeptiert. Ein Appell für mehr Gespür in der Kindererziehung.

Eltern wünschen sich sozial kompetente Kinder. Kinder, die im Leben gut zurechtkommen und selbstbewusst sind. Kinder, die gestärkt durchs Leben gehen und für die Höhen und Tiefen gerüstet sind. In Buchhandlungen sowie auf manchem Nachtkästchen türmen sich Ratgeber mit Erziehungstipps. Worauf dabei häufig vergessen wird? Auf die innere Stimme! Denn die eigene Intuition ist ein kompetenter Ratgeber. „Erziehung ist nichts, das für alle und bei allen gleich ist“, erklärt Eva Maria Waibel, Pädagogin und Psychotherapeutin in Existenzanalyse und Logotherapie: „Jedes Kind ist individuell und daher gibt es auch keine allgemein gültige Anleitung.“

Über Individualität in der Kindererziehung

Aus Sicht der existenziellen Pädagogik ist es zentral, jedes Kind als einzigartig zu begreifen und demgemäß auch zu erziehen. Dem Kind auf Augenhöhe zu begegnen und zu schauen, was das Kind im Moment von einem braucht, ist wesentlich. „Dazu muss man in Kontakt, in Beziehung mit seinem Kind sein und sich bewusst mit ihm Aus-Einander-Setzen“, betont Waibel. Für Eltern heißt das, nicht nur gut zu kommunizieren, sondern auch gut zu beobachten. Zu schauen, wie das eigene Kind „tickt“, was ihm wichtig ist und was es als bedeutend erlebt. Und das von klein auf. Daraus resultierten ein inneres Verstehen und ein gutes Gespür für die Bedürfnisse des Kindes, ergänzt die Pädagogin. Für sie ist Erziehung auch eine „Sehschule“.

Wertschätzung bringt Selbstwert

Damit Kinder sich gut entwickeln können und ihr Selbstwertgefühl gestärkt wird, müssen sie sich wertgeschätzt fühlen. Das heißt: Kinder in ihrer Person und ihrem Wesen zu sehen. Sie nicht nur zu beachten, sondern sie auch zu achten, ist zentral für die Persönlichkeitswerdung. Wobei das nicht als „Freifahrtschein“ für den Nachwuchs zu verstehen ist. „Es heißt nicht, dass Mama und Papa allen Launen nachgehen und alles tun müssen, was das Kind gerade möchte. Und es heißt auch nicht, alles durchgehen zu lassen“, betont Waibel. Vielmehr geht es darum, die Kleinen mittels Kindererziehung in jenen Bereichen zu fördern, die ihnen entsprechen und die sie als wichtig und bedeutsam erleben. Die Pädagogin spricht hier von personalen Fähigkeiten beziehungsweise Werten. Das bringe einen doppelten Effekt: Sie fühlen sich wertgeschätzt und erleben das Leben als wertvoll.

Vorbild sein heißt authentisch sein

Wenig zielführend ist es, Erziehungstipps zu übernehmen, die gut klingen oder Werte zu kopieren, die anderen Familien wichtig sind. Man muss schon selbst von ihnen überzeugt sein. Und man muss sie auch „vor-leben“. Denn Kinder haben ein ausgesprochen gutes Sensorium. Sie lassen sich schwer täuschen. Sie spüren genau, ob Mama und Papa das auch leben, was sie ihnen vermitteln oder vorgeben (wollen). „Wenn nicht, wird es auch nicht angenommen“, weiß die Pädagogin. Sie rät Eltern daher, authentisch zu sein. „Vorbild zu sein und authentisch zu sein heißt aber nicht, unfehlbar sein zu müssen. Kein Mensch agiert permanent fehlerfrei. Als Mama oder Papa kann man nicht immer und in jeder Situation das tun, was richtig und wichtig wäre. Scheitern ist erlaubt, weil Scheitern menschlich ist.“

Wichtig ist, wie man damit umgeht. „Wenn ich meinem Kind gegenüber eingestehe, dass ich nicht richtig gehandelt habe oder mir etwas nicht gelungen ist, lernen sie ungemein viel fürs Leben“, sagt Waibel: „Nämlich, wie man Fehlern und Herausforderungen begegnet.“

Dr. Eva Maria Waibel ist ausgebildete Pädagogin und Psychotherapeutin. Sie arbeitet in freier Praxis und unterrichtete an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen im In- und Ausland. Die Dornbirnerin ist Autorin mehrerer Fachbücher für Erziehung.