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Experte Dominik Batthyány: Sucht als Chance

Was tun bei Verhaltenssucht?

Experte Dominik Batthyány: Sucht als Chance

Spielsucht, Mediensucht, Sexsucht: Eine Verhaltenssucht wie diese lässt Menschen glauben, sie hätten einen Problemlöser gefunden. Psychotherapeut Dominik Batthyány erklärt, wie man aus der Verhaltenssucht wieder herauskommt und warum er Sucht als Chance sieht.

Abhängigkeit ist nichts, was man einfach abstellen kann. Aber es gibt Wege aus der Suchtspirale. Doch bevor es zur Veränderung des Süchtigen kommt, muss etwa bei einer Verhaltenssucht geklärt sein, welche tieferen Gründe dahinterstecken. Und dann lässt sich Sucht auch als Chance begreifen. Dominik Batthyány leitet das Institut für Verhaltenssüchte der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Er weiß, worauf es ankommt, wenn süchtige Menschen den Weg aus der Suchtspirale suchen.

Herr Batthyány, Drogen-, Zigaretten- und Alkoholsucht sind weithin bekannt. Sie beschäftigen sich mit Verhaltenssüchten. Was sind typische Beispiele dafür?

Es gibt zurzeit zwei Verhaltenssüchte, die besonders gut untersucht sind. Das sind das sogenannte Pathologische Glückspiel und die Computerspielsucht, die wiederum nur ein kleiner Aspekt der Mediensucht ist. Generell verschwimmen die Verhaltenssüchte miteinander, denn Glücksspiel ist zum Beispiel auch im Internet möglich. Auch die Kaufsucht kann sich über die Internetnutzung entfalten. Allein schon das Recherchieren nach günstigen Angeboten und das Beschäftigen damit erzeugt gute Gefühle und kann Teil eines Suchtverhaltens sein. Auch pornografische Inhalte im Internet haben ein hohes Suchtpotenzial. Dieses Thema ist mit doppelter Scham verbunden – Sexualität und Sucht kommen zusammen.

Wie kann es überhaupt soweit kommen, dass ein Mensch von einem bestimmten Verhalten abhängig wird und die Kontrolle über sein Leben verliert?

Abhängigkeit und Sucht sind zu Beginn eine Problemlösungsstrategie. Man merkt zunächst, dass man sich besser fühlt. Man kann mit der Sucht vielleicht Mauern abbauen, die man um sich herum gebaut hat. Oder sie hilft einem dabei, Mauern aufzubauen, die einem vor etwas schützen, auch vor den eigenen Emotionen. Womöglich hat man endlich das Gefühl, so sein zu können wie man wirklich ist. Der Mensch merkt also zu Beginn: Da gibt es etwas, das mir hilft.

Machen wir das nicht alle manchmal: Probleme zu lösen, indem wir uns ablenken oder zu Alkohol greifen?

Natürlich. Problematisch wird es, wenn jemand damit beginnt, das öfter zu machen und als eine Strategie entdeckt. Wird ein gewisses Verhalten immer wieder angewendet, zum Beispiel um Stress zu reduzieren, verlernt der Süchtige mit der Zeit, sich auf eine andere Art und Weise zu entspannen. Dadurch wird dieses Verhalten wichtiger und wichtiger. Es wird immer häufiger gewählt, weil man es bereits kennt und es einfach ist. So entsteht die Abhängigkeit. Die Strategien, die man vorher vielleicht hatte, verkümmern, weil diese Wege nicht mehr gegangen werden.

Dem Süchtigen hilft also nur sein Suchtverhalten, um mit negativen Gefühlen umzugehen?

Ja. Was zuerst hilft, entwickelt sich zu einer Sucht und schwächt dann den Menschen. Denn wenn man mit dem Suchtverhalten plötzlich aufhört, dann merkt man, dass man nicht mehr zurechtkommt. Man weiß gar nicht mehr, was man in gewissen Situationen machen soll. Auf einmal fällt es sehr schwer, auf anderen Wegen mit einem bestimmten negativen Gefühl umzugehen. Das ist der Moment, in dem man wieder zum Suchtverhalten greift. Die Entwicklung in die Sucht hinein ist kein linearer Prozess. Das ist auch das Verführerische daran: Dass man sich zwischenzeitlich wieder zusammenreißt und deshalb glaubt die Kontrolle zu haben und nicht süchtig zu sein.

Wann wird eine Sucht wie Verhaltenssucht existenzbedrohend?

Die existenzielle Not entsteht durch den Kontrollverlust. Die Sucht bringt negative Folgen mit sich, die sich auf die Schule, den Beruf, Beziehungen und andere Lebensbereiche auswirken. Trotzdem wird das Verhalten fortgesetzt. Es kommt häufig vor, dass Menschen sich verschulden oder ihre Miete nicht mehr zahlen können. Bei der Mediensucht kann beispielsweise auch ein großer Schlafmangel entstehen. Das wirkt sich auf den Job aus, weil man unausgeschlafen zur Arbeit kommt, man ist nicht mehr leistungsfähig und verliert irgendwann seine Stelle. Bei der Therapie mit Gefängnisinsassen erzählen mir Betroffene, dass ihre Sucht sie hinter Gitter gebracht hat. Sie wurden kriminell, um sich das nötige Geld für die Glücksspielsucht zu besorgen.

Was macht die Abhängigkeit mit den Betroffenen?

Süchtige Menschen beginnen plötzlich auch Dinge zu tun, die sie früher nie getan hätten. Obwohl sie keine bösen Menschen sind, lügen oder stehlen sie und machen anderen etwas vor. Sie beginnen auch damit, sich selbst Sachen anzutun, die sie vorher nie getan hätten. Dazu gehört zum Beispiel, sich eine Spritze zu setzen, zu riskieren sich mit dem HIV-Virus zu infizieren und so weiter – Menschen tun sich selbst wahnsinnig viel an.

Welchen Herausforderungen müssen sich Abhänige stellen, wenn sie ihre Verhaltenssucht bekämpfen?

Wenn man dem Suchtverhalten nicht mehr nachgeht, steht man plötzlich vor einer großen Leere. Bei negativen Gefühlen muss man erst wieder lernen, Wege abseits der Sucht zu gehen. Das braucht Geduld und Anstrengung. Je öfter man neue Pfade beschreitet, desto leichter werden sie auch. Die Leere mit anderen Dingen zu füllen ist am Anfang anstrengend, man muss dranbleiben und das immer wieder wiederholen. Dazu kann man sich auch Hilfe holen.

Sie sehen Sucht auch als Chance. Warum?

Sucht kann ein Fingerzeig auf etwas im eigenen Leben sein, das nicht ganz in Ordnung ist. Ein Beispiel: Ein Mensch beginnt damit, Alkohol zu trinken. Er merkt, dass ihn das entspannt, er Stress abbauen kann und gewöhnt sich daran. Schafft er es, die Sucht zu beenden, wird in der Psychotherapie der Frage nachgegangen: Welche anderen Wege außer Alkohol gibt es für diesen Menschen, um sich zu entspannen? Das können zum Beispiel Entspannungstechniken sein oder einfache Maßnahmen, wie nach der Arbeit zu Fuß nach Hause zu gehen.

Darüber hinaus kann man in der Therapie aber weitergehen und nach den Ursachen suchen: Warum hat dieser Mensch überhaupt so viel Stress? Warum macht er sich so einen Druck? Das führt auf eine tiefere Ebene. Vielleicht möchte sich der Betroffene selbst etwas beweisen und braucht das für sein Selbstbild. Oder er denkt, nur dann von anderen angenommen zu werden, wenn er Leistung erbringt. Bei der Suchttherapie geht es ein Stück weit auch darum, sich auf die Suche zu machen und nach den Gründen zu schürfen, die einen in diese Situation gebracht haben.

Was kann Süchtigen neben der Psychotherapie helfen?

Ganz praktische, alltägliche Dinge: beschäftigt sein, einer Arbeit nachgehen, eine Tagesstruktur haben. Auch der direkte Umgang mit dem Suchtverhalten hilft. Also zu schauen: Wann sind die Momente, in denen ich hineinkippe?