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Mental Load: Beziehungsarbeit ist nicht nur Frauensache

Weltfrauentag

Mental Load: Beziehungsarbeit ist nicht nur Frauensache

Viele Frauen fühlen sich für die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen verantwortlich – nicht nur in der Partnerschaft oder in der Familie, sondern auch in Freundschaften und im Berufsleben. Unbewusst und unbedankt leisten sie ständig Beziehungsarbeit. Schließlich sollen sich alle wohlfühlen und die Dinge harmonisch ablaufen. Die Folge: emotionale Erschöpfung. Unsere Gedanken zum Weltfrauentag.

Alles können, alles müssen: Erwartungen an moderne Frauen

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Rolle der Frauen klar festgeschrieben: die der sorgenden Mutter, Ehegattin und Hausfrau. Das hat sich inzwischen geändert, Frauen machen genauso Karriere wie Männer, sind finanziell unabhängiger als früher, führen Beziehungen auf Augenhöhe oder sind selbstbewusste Singles. Doch trotz der neuen, emanzipierten Rollenbilder sind die traditionellen Erwartungen an Frauen nicht verschwunden. Das sorgt für noch mehr Druck, stellt die Soziologin Franziska Schutzbach in ihrem Buch „Die Erschöpfung der Frauen: Wider die weibliche Verfügbarkeit“ (Droemer Knaur) fest: „Die junge Frau kann alles, soll aber auch alles.“

Die Folge: Frauen haben das Gefühl, „dass sie ständig verfügbar sein sollen für die Bedürfnisse anderer; für emotionale Arbeit, Hausarbeit, Pflege, Beziehung; für die Herstellung von Harmonie, Gemütlichkeit und Glück; dafür, dass andere sich von der harten Welt erholen können“, schreibt Franziska Schutzbach. „Sie ‚schulden‘ anderen – der Familie, Männern, der Öffentlichkeit, dem Arbeitsplatz – ihre Aufmerksamkeit, ihre Liebe, ihre Zuwendung, ihre Attraktivität, ihre Zeit.“

Dass sich das alles nicht ausgehen kann, liegt auf der Hand: Das schlechte Gewissen ist ein ständiger Begleiter der Frauen. Laut einer Studie der Fachhochschule Erfurt und der SRH Hochschule für Gesundheit haben Frauen deutlich häufiger Schuldgefühle, wenn es um die Beziehung zu ihren Kindern und Familienmitgliedern oder um das Wohlergehen anderer geht. Männer hingegen fühlen sich vor allem durch eigenes Fehlverhalten oder durch berufliche Probleme belastet.

Unsichtbare Beziehungsarbeit: Und wo bleibe ich?

Der Begriff „Mental Load“ hat sich seit einiger Zeit durchgesetzt, um die unsichtbare, als selbstverständlich wahrgenommene Beziehungsarbeit zu benennen: Das Organisieren alltäglicher Pflichten und Sich-Kümmern um zwischenmenschliche Beziehungen kann sehr belastend sein. In den allermeisten Fällen sind es die Frauen, die sich Gedanken machen über das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter, den Wocheneinkauf planen, Hotels für den gemeinsamen Urlaub mit dem Partner recherchieren und dafür sorgen, dass beim Arbeitsmeeting Snacks und Getränke bereitstehen. Mütter schlüpfen in die Rolle der Zahnfee, des Osterhasen, des Christkinds, besuchen Elternabende, backen Kuchen fürs Kindergartenfest und vereinbaren Arzttermine.

Zeit für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse bleibt dabei kaum: Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TQS gab ein Drittel der Frauen an, täglich gerade einmal zwischen einer halben und einer Stunde Zeit nur für sich zu haben. Dagegen hatten 55 Prozent der Männer mehr als eine Stunde Me-Time am Tag zur Verfügung. Ganze 54 Prozent der Frauen stuften ihren persönlichen „Mental Load“ als sehr hoch bzw. hoch ein; bei den Männern waren dies nur 31 Prozent.

Die Verfügbarkeit der Frauen nützt allen – nur nicht ihnen selbst

Die unausweichliche Folge der unsichtbaren und unbelohnten Beziehungsarbeit: ein Gefühl des Ausgebranntseins. „Die Erschöpfung, die viele spüren, ist aber nicht das Unvermögen von Einzelnen“, stellt Schutzbach klar. Der Fehler liegt vielmehr im System: Denn die Gesellschaft profitiert davon, dass Frauen ökonomisch und emotional ständig verfügbar sind, lautet die Kernaussage von Schutzbachs Buch.

Eine Gesellschaft kann schließlich nur funktionieren, wenn jemand Kinder zur Welt bringt, sie erzieht und versorgt. Alles Tätigkeiten, die im privaten Bereich unbezahlt verrichtet werden – und zwar hauptsächlich von Frauen. In Österreich leisten sie immer noch mit rund 60 Prozent den Großteil der Care-Arbeit und erbringen damit eine unbezahlte Arbeitsleistung im Wert von 108 Milliarden Euro. Die Folgen davon – wie Teilzeit-Erwerbstätigkeit, geringeres Lebenseinkommen, schlechtere Karrierechancen und Altersarmut – tragen die Frauen jedoch ganz allein.

Die Gesellschaft muss sich ändern, nicht die Frauen

Ein paar Work-Life-Balance-Tipps werden das Problem nicht lösen. „Es gibt kein Zwölf-Stufen-Programm und keine neue Diät gegen das ausbeuterische System, das der weiblichen Erschöpfung zugrunde liegt“, so Schutzbach. Das zu erkennen, ist der erste Schritt für Frauen, sich aus der Erschöpfungsfalle zu befreien. Denn ändern müssen sich nicht die Frauen, sondern das politische, ökonomische und kulturelle System – also wir alle, auch die Männer.

Die Forderungen sind altbekannt und nach wie vor dringlich, nicht nur zum Weltfrauentag: Sei es, Arbeitszeit radikal neu zu denken – weg von der Ausrichtung auf Vollzeiterwerb hin zu Arbeitszeitmodellen, die allen Menschen mehr zeitliche Ressourcen für Care-Arbeit bieten. Sei es, bisher unbezahlte Sorgearbeit aufzuwerten oder Karenz- und Kinderbetreuungszeiten gerechter zu verteilen.

Wichtig dabei laut Soziologin Franziska Schutzbach: global und solidarisch zu denken. Denn wer es sich leisten kann, kauft sich oft Care-Arbeit von weniger privilegierten Frauen ein – die wiederum für ihre Leistungen schlecht bezahlt und häufig in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden. Das Problem der Ausbeutung wird so nur weitergegeben an die noch schwächeren Mitglieder der Gesellschaft.

Es liegt also an uns allen, nicht an den einzelnen Frauen, an den bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern. Und das zahlt sich letztlich aus: Denn eine gerechtere Gesellschaft, die auf die Bedürfnisse all ihrer Mitglieder Rücksicht nimmt, kommt allen zugute.