Ein Algorithmus, der künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin darauf trainiert, Hautkrebs früher zu erkennen als jeder Mensch, Roboter im OP und KI, die einen Herzstillstand vorhersagt: Das alles ist keine Zukunftsvision mehr, sondern längst Realität. Künstliche Intelligenz nutzt Algorithmen, insbesondere maschinelles Lernen und künstliche neuronale Netzwerke, um sich selbstständig zu verbessern oder komplexe Aufgaben zu lösen. Für die Medizin bedeutet das: Sie verarbeitet enorme Datenmengen, erfasst Muster in Sekundenschnelle und beschleunigt Diagnosen. Im Bereich der Allgemeinmedizin wird jedoch immer klarer, dass es auch Fehler im System gibt: Viele Berechnungsverfahren basieren auf männlich geprägten Datensätzen, was zu einer Vernachlässigung frauenspezifischer Symptome führen kann. Gleichzeitig bietet KI die Chance, diese Defizite auszugleichen und die Versorgung für Frauen nachhaltig zu verbessern.

Einsatz im Klinik- und Pflege-Alltag

Es gibt einige Bereiche, in denen bereits erfolgreich mit KI gearbeitet wird. Auf Intensivstationen überwachen Computer kontinuierlich Herz- und Atemfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur. Mithilfe ergänzender künstlicher Intelligenz können bei Langzeitaufenthalten Muster gespeichert werden, die mögliche Komplikationen wie einen Herzstillstand vorhersehen. Ärzteteams passen dann die Behandlung an. Röntgenaufnahmen, MRT-Bilder und CT-Scans oder auch automatisierte Hautkrebskontrollen werden von KI-Systemen analysiert, um Krankheiten wie Krebs frühzeitig zu erkennen. Jeder Scan füttert die sogenannten Convolutional Neural Networks (CNNs) mit Bilddaten. Das künstliche neuronale Netzwerk der KI, das für die Verarbeitung von Bildern und visuellen Daten optimiert ist, nutzt dafür mehrere Schichten, um Merkmale wie Kanten, Texturen und Formen zu erkennen und beispielsweise eine gesunde von einer kranken Lunge zu unterscheiden. Je mehr Input, desto eher werden für das menschliche Auge manchmal noch unsichtbare Krankheitsmuster erkannt. Eine Art Frühwarnsystem für das Fachpersonal, das anhand der Daten weitere Untersuchungen anordnen kann – und damit ein riesiger Mehrwert für die Patientinnen und Patienten. Den gibt es auch im druckvollen Arbeitsalltag in Pflegeheimen. Hier entlasten aktuell Assistenzsysteme Pflegekräfte, indem sie Dokumentationsaufgaben per Spracheingabe über eine eigens dafür programmierte App am Smartphone erledigen können. Die KI der App erkennt verschiedene Dialekte und Fachbegriffe und wandelt gesprochene Worte in strukturierten Text um. Diese Informationen werden dann direkt in das standardisierte System übertragen. Dadurch sparen Pflegekräfte bis zu eine Stunde pro Tag an administrativem Aufwand ein – wertvolle Zeit, die für die Betreuung der ihnen anvertrauten Menschen bleibt. Auch bereits bestehende Technologien werden durch KI bald entscheidende Veränderungen erfahren. So kommen in der Chirurgie z. B. Assistenzroboter wie das Da-Vinci-System zum Einsatz. Die Maschinen assistieren den Ärztinnen und Ärzten, indem sie Bewegungen stabilisieren und Zugang zu schwer erreichbaren Stellen im Körper ermöglichen. Das macht komplexe Operationen schon jetzt präziser, weniger invasiv und verkürzt die Genesungszeit. Zukünftig soll KI hier zur automatischen Mustererkennung, zur Unterstützung bei OP-Entscheidungen oder für Vorhersagen und Analysen integriert werden.

Frauengesundheit: Fortschritte und Risiken

Dr. Medina Hamidović ist Forscherin an der Johannes Kepler Universität Linz und Expertin für Technologie in Gesundheitswesen und Medizin an KI-gestützten Diagnose-Tools. Laut ihrer Einschätzung ist der Einsatz von KI das zentrale Element und die größte Chance für zielgerichtete personalisierte Medizin – auch im Bereich der Frauengesundheit. „KI kann dabei helfen, sowohl die personalisierte als auch die geschlechtsspezifische Medizin voranzutreiben, indem sie erkennt, welche Parameter speziell für Frauen relevant sind.“ Aktuelle Beispiele stimmen optimistisch: KI, die auf die Erkennung von Tumoren in der Mammografie trainiert wurde, hat in einer randomisierten Studie Radiologinnen und Radiologen geholfen, die Zahl der entdeckten Tumoren um 20 Prozent zu steigern. Gleichzeitig wurde die Arbeitslast um 43 Prozent gesenkt. In der Reproduktionsmedizin können die Chancen von In-vitro-Fertilisationen (IVF) optimiert werden, indem KI-gestützte Bildanalyse von Eizellen und Embryonen hilft, diejenigen mit der höchsten Erfolgswahrscheinlichkeit zu identifizieren: Parameter wie Teilungsmuster, Symmetrie, Zellgröße und frühzeitige Anomalien werden erkannt, sodass der geeignetste Embryo für den Transfer gewählt werden kann. Dies wiederum erhöht die Schwangerschaftsschancen pro Versuch und erspart Betroffenen lange Leidenswege. Bei frauenspezifischen Themen wie Endometriose oder PCOS kann KI den entscheidenden Unterschied machen, weil diese Krankheiten Jahre früher diagnostiziert werden. Auch hier spielt eine frühe Mustererkennung durch Patientinnendaten die zentrale Rolle. Anders dagegen verhält es sich bei allgemeineren Leiden: Denn wenn Systeme für Krankheiten, die alle Geschlechter betreffen, vor allem mit Daten männlicher Patienten gefüttert wurden, errechnen sie Behandlungsmuster, die für Männer, aber nicht zwingend auch für Frauen relevant und wirksam sind. Autoimmunerkrankungen wie Lupus, der zu schweren Entzündungen der Haut und anderen Organen führen kann, betreffen beispielsweise viel häufiger Frauen. In den KI-Systemen finden sich dazu jedoch vor allem Daten männlicher Patienten, und subtile Symptome, die bei Frauen auftreten, können übersehen, zu spät erkannt oder falsch diagnostiziert werden. Auch das Thema Medikamentendosierung muss vorsichtig betrachtet werden. KI-gestützte Pharmakologie-Systeme analysieren Daten wie Alter, Geschlecht, Gewicht, Organfunktion und genetische Faktoren und berechnen daraus die optimale Medikamentendosis – doch Empfehlungen, die sich für 85-Kilo-Männer bewährt haben, passen im Regelfall nicht für 65-Kilo-Frauen und können zu massiven Nebenwirkungen führen. Dieser Bias und blinde Fleck in der Datenlage kann laut Expertin Hamidović aber Stück für Stück reduziert werden. Um das volle Potenzial von KI in der Frauengesundheit auszuschöpfen, müssten mehr geschlechtsspezifische Daten erhoben und mehr Frauen in die Entwicklung der Technologien einbezogen werden: „Wir müssen sicherstellen, dass Frauen nicht nur als Patientinnen besser vertreten sind, sondern auch als Entwicklerinnen und Entscheidungsträgerinnen in der KI-Branche“, fordert sie.

Anforderungen an den künftigen Umgang mit KI

Was bleibt, ist die Frage: Wie viel Verantwortung kann man künstlicher Intelligenz generell in der Medizin übertragen? Im Moment ist sie unterstützendes Werkzeug und wird nicht dafür eingesetzt, medizinische Entscheidungen zu treffen. Was passiert mit den Millionen von sensiblen Gesundheitsdaten, die in der Summe dem Gemeinwohl dienen, im Einzelnen aber zur Diskriminierung von Kranken führen könnten? Es fehlen einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen, die mit der schnelllebigen Entwicklung mithalten. Dennoch sind sich fast alle Expertinnen und Experten einig: Für echten Fortschritt, von dem die gesamte Gesellschaft profitiert, braucht es vor allem Zusammenarbeit – von Fachleuten aus Medizin, Technologie und Ethik. KI spielt eine entscheidende Rolle für den Fortschritt in der Medizin und hat uns allen viel Gutes gebracht. Es bleibt spannend.