Die tschechische Meeresbiologin Petra Nevečeřalová im Interview: „Wir brauchen mehr Wale“
Die tschechische Meeresbiologin Petra Nevečeřalová setzt sich für den Schutz der Wale ein. Welche wichtige Rolle die gigantischen Meeressäuger im Ökosystem spielen und welchen Herausforderungen sie sich stellen müssen, erklärt die junge Wissenschaftlerin im Interview.
Sie sind die größten Säugetiere, die es auf der Welt gibt – und eine Schlüssel-Spezies für das Ökosystem der Ozeane. Leider sind manche von ihnen gleichzeitig bedroht: Der Klimawandel schränkt ihre Lebensräume und Nahrungsquellen ein; der zunehmende Schiffsverkehr stört ihre Migrationsrouten. Wie
die Naturschutzgenetik zur Erhaltung der Meeressäuger beitragen kann
und was DNA-Proben damit zu tun haben, schildert die 1988 geborene Walforscherin Petra Nevečeřalová im ACTIVE BEAUTY Interview.
Es gibt so viele spannende Fakten über Wale. Was fasziniert Sie am meisten an ihnen?
Sie haben eine unglaublich lange Lebenszeit, manche können über 100 Jahre alt werden. Außerdem sind sie sehr intelligent. Orcas haben zum Beispiel einige sehr hoch entwickelte Gehirnteile, wahrscheinlich wegen ihres außergewöhnlichen Kommunikationsvermögens und Soziallebens. Sie leben im Matriarchat. Orcas gehören zu den wenigen Spezies, bei denen die Weibchen, in dem Fall also die Kühe, durch die Menopause gehen. Als Großmütter führen sie dann die ganze Walschule, das heißt die Gruppe, mit ihrem Wissen an. Und auch die Kommunikation der Tiere untereinander ist einzigartig: Sie haben sogar Namen, mit denen sie sich rufen und merken sich diese über fünfzig Jahre!
Wale werden auch als „Ökosystem- Ingenieure“ bezeichnet. Warum?
Das liegt an drei Gründen. Was immer als erstes angeführt wird: Sie sind riesige Tiere und binden deshalb enorme Mengen Kohlenstoff. So wurde berechnet, dass rund 12.000 Pottwale bis zu 200.000 Tonnen CO2 pro Jahr absorbieren können. Wenn ein Wal stirbt, landet sein toter Körper auf dem Meeresgrund und der gebundene Kohlenstoff verbleibt dort. Dieses Phänomen nennt sich Walfall.
Und was bewirken sie zu Lebzeiten?
Da komme ich zum zweiten Punkt: Sie steigern die Primärproduktivität, also die Produktion von Biomasse durch Pflanzen. Weil ihre Exkremente reich an Eisen sind, wirken sie wie Dünger und sorgen so für die Vermehrung von Phytoplankton. Dadurch erhält das Ökosystem einen richtigen Boost, weshalb der Effekt auch als Walpumpe bezeichnet wird. Der dritte Punkt, weshalb Wale so wichtig sind, ist das sogenannte Walförderband, dass durch ihre Bewegung im Wasser entsteht. In Mexiko und Kalifornien gibt es zum Beispiel Grauwale, die bis zu 15 Meter groß werden. Sie wühlen im Schlamm nach Nahrung, schwimmen dabei im Ozean lange Strecken auf und ab und helfen so, dass Nährstoffe besser verteilt werden. Auch das fördert die Entstehung von Phytoplankton, von dem sich kleinere Meereslebewesen ernähren können, die dann irgendwann selbst zum Futter für Fische werden.
Momentaufnahme eines Walbruchs: Ein Südkaper springt aus dem Meer
Das heißt, wir brauchen mehr Wale?
Ja, unbedingt. Denn je mehr es gibt, desto mehr Fische wird es geben! Und wenn man sich vorstellt, dass manche Walarten nur mehr ein bis zwei Prozent ihres ursprünglichen Bestands vor dem Beginn des Walfangs ausmachen, ist das ziemlich traurig.
Sie wurden in Tschechien geboren und sind dort aufgewachsen. In Ihrer unmittelbaren Nähe war kein Meer – woher kommt also Ihre Begeisterung für Wale?
Eine meiner ersten Erinnerungen ist, dass mir meine Mutter eine gelbe Decke mit einem Seehund-Motiv geschenkt hat. Das hat mein Interesse geweckt. Daraufhin kaufte sie mir ein Buch über Meeresbewohner. Zuerst sahen wir uns die Seehunde an. Auf den folgenden Seiten ging es um Delphine und Wale. Meine Mutter hat mir alles über sie vorgelesen und ich war sofort fasziniert. Ich denke, das ist etwas, das schon mein ganzes Leben in mir war.
Und wie sind Sie Walen dann zum ersten Mal wirklich begegnet?
Das kam so: Ich besuchte in Prag einen Vortrag über Wale. Danach unterhielt ich mich mit dem Experten, einem Taucher aus Südafrika, und erzählte ihm, dass ich die Meeressäuger gerne erforschen würde. Er lud mich ein, ihn zu besuchen. Als ich meiner Mutter davon erzählte, kaufte sie zwei Flugtickets und wir sind gemeinsam nach Mosambik gereist. An meinem 17. Geburtstag sah ich dort an der Küste ein Buckelwal-Weibchen mit Kalb. Ich habe diesen Moment mit der Kamera festgehalten – das Bild erinnert mich immer an diesen Tag. Später flog ich dann nach Kapstadt, wo mich der Taucher-Freund mit jemandem bekannt machte, der sich auf Whale-Watching-Touren spezialisiert hatte. Wir waren uns sofort sympathisch und ich begann daraufhin meine Tätigkeit als Touristenführerin auf seinem Boot und betrieb meine Studien.
Walbeobachtung vom Boot aus
Sehr früh die Heimat zu verlassen, um sich so etwas Exotischem wie der Walforschung zu widmen, war sehr mutig.
Die Courage dafür habe ich meiner Mutter zu verdanken. Sie ist die wichtigste Person in meinem Leben und hat mich immer ermutigt, weiterzumachen und meine Ziele zu verfolgen.
Wie sah Ihr Alltag als Walforscherin in Kapstadt aus?
Ich habe meinen Job als Guide auf einem kommerziellen Wal-Beobachtungsboot mit den Recherchen für meine Doktorarbeit verknüpft: Wir sind mit den Touristinnen und Touristen aufs Meer hinausgefahren und ich habe ihnen alles über die Wale erklärt. Meistens haben wir Südkaper gesehen, die auch Südliche Glattwale heißen – also habe ich ihnen viel darüber erzählt. Parallel dazu habe ich nichtinvasive DNA-Proben für
mein Doktoratsstudium direkt vom Boot aus gesammelt und den Passagieren mein Forschungsprojekt geschildert. Sie fanden das spannend und konnten so noch mehr Einblick in die Situation der Wale gewinnen.
Sie sprechen von „nichtinvasiven DNA-Proben“. Worum geht es da?
Fast alle Walforscherinnen und -forscher sammeln Biopsien, das habe ich auch gemacht. Dabei schießt man mit einer Armbrust einen speziellen Pfeil
auf das Tier, um ein kleines Stück Haut zu erhalten. Das ist zwar minimalinvasiv, aber ich wollte die Wale nicht stören. Also kam ich darauf,
abgestorbene Walhaut, die um unser Beobachtungsboot herumschwamm, einzusammeln. Denn auch bei Walen schält sich die Haut, wenn sie zu
viel Sonne abbekommen. Mit diesen Schuppen habe ich eine DNA-Isolierung ausprobiert und erkannt, dass die Proben genug hochwertige DNA liefern, um damit arbeiten zu können. Also haben wir auf diese nichtinvasive Methode umgestellt. Wir haben auch Proben von Exkrementen gesammelt – und dann kam ich noch auf eine weitere Idee: Ich fragte mich, ob ich auch aus ihrer Atemluft DNA isolieren könnte – und es hat funktioniert. Das war mein letzter Forschungsbericht für mein Doktorat. Meine Arbeit basiert auf Hautproben, die Blasproben waren noch eine Ergänzung.
Für die spätere DNA-Analyse werden Walhautschuppen in sterile Röhrchen gegeben.
Wie tragen die DNA-Analysen zum Schutz der Wale bei?
Wenn man genug Proben hat, auch von anderen Populationen derselben Spezies – ich habe hier mit Kolleginnen und Kollegen aus Südamerika, Neuseeland und Australien kooperiert –, kann man über die DNA-Analyse herausfinden, mit welchen Partnern sich die Wale vermehren, ob genug genetische Vielfalt vorliegt oder ob es gerade eine genetische Krise gibt. Man bekommt sozusagen einen Überblick über die gesamte Population. Wir konnten nachweisen, dass sie ihre Migrationsgewohnheiten geändert haben, um mehr Krill, ihre wichtigste Nahrungsquelle, zu finden. Außerdem sind sie jetzt dünner und die Weibchen kalben aufgrund des fehlenden Fetts nur mehr alle fünf statt alle drei Jahre. Die DNA-Analyse zeigt die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Wale.
Neben Durchhaltevermögen: Welche Fähigkeiten benötigt man für die Walforschung?
Man sollte sich auf jeden Fall gut mit den Naturwissenschaften und Biologie auskennen. Der Trend geht momentan dazu, Methoden der Molekulargenetik und -biologie mit dem Naturschutz zu verbinden. Und dann muss man kreativ und geduldig sein. Die meiste Zeit über machen Wale nämlich nicht das, was man von ihnen gerne hätte. Man muss verstehen, was passiert und unermüdlich Neues lernen. Aber das ist die natürliche Neugierde in jeder Wissenschaftlerin und jedem Wissenschaftler, die alle immer weitermachen lässt.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Zurzeit arbeite ich als Molekularbiologin für ein privates Start-up, das an der Entwicklung von kultiviertem Fleisch forscht. Und demnächst bin ich dann wieder bei den Walen in Südafrika. Ich habe dort immer die beste Zeit meines Lebens!
So können wir Wale besser schützen
Damit Wale sich vermehren können und in ihrer Migration nicht gestört werden, sollen wir laut Petra Nevečeřalová diese Punkte beachten:
- Einen grüneren Lebensstil pflegen: Weniger Umweltverschmutzung hilft auch den Walen.
- Bewusster Konsum: Weniger kaufen, besonders Dinge, die nicht lange halten. Große Containerschiffe, z. B. aus China, machen auch einen großen Teil der Emissionen aus.
- Die Ernährung umstellen: Pflanzenbasierte Lebensmittel sind umweltfreundlicher und sorgen für weniger CO2-Ausstoß.
- Auf biologischen Anbau setzen: Pestizide gelangen von den Feldern direkt ins Meer. Lieber biologisch angebautes Obst und Gemüse essen.