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Lieblingskind: Eine Psychologin erklärt, wie Sie mit dem Tabuthema richtig umgehen

Mythos Gleichbehandlung

Lieblingskind: Eine Psychologin erklärt, wie Sie mit dem Tabuthema richtig umgehen

Die ideale Mama, der perfekte Papa hat alle Kinder gleich gern. Doch das Gefühl sagt oft etwas anderes. Eine Familienpsychologin erklärt, wie Eltern mit dem Thema Lieblingskind umgehen können und sollen.

Mag. Patricia Zaccarini ist Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin und leitet das Pädagogisch-Psychologische Zentrum in Wien

Lieblingskind: Wir sprechen mit einer Psychologin über das große Tabu

Die wenigsten Eltern bevorzugen bewusst eines ihrer Kinder. Doch bestimmte Bedingungen können dazu führen, dass einem Sprössling mehr Aufmerksamkeit zuteilwird als den Geschwistern. Sei es eine komplizierte Geburt, eine Erkrankung oder Behinderung oder schlicht und einfach der Umstand, dass man einem Kind charakterlich sehr ähnelt und deshalb eine besondere Nähe zu ihm spürt. Gleichzeitig hadern viele Eltern mit diesen Gefühlen. Wir haben mit der Familienpsychologin Mag. Patricia Zaccarini gesprochen.

1. Frau Mag. Zaccarini, müssen Eltern ein schlechtes Gewissen haben, wenn es ein Lieblingskind gibt?

„Es ist völlig normal, dass sich Eltern zu einem Kind mehr hingezogen fühlen, dies kann sich auch im Laufe der Zeit verändern. Es ist immer ein Balanceakt, jedem Kind gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken. Jedes Kind ist von seinem Charakter und seinen Bedürfnissen her unterschiedlich und benötigt daher auch einen individuellen Umgang. Außerdem befinden sich Geschwister meist in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Insgesamt ist es aber wichtig, dass Eltern die Zuneigung zu ihren Kindern zeigen – auf eine Art und Weise, die alle Geschwister in gleicher Weise berücksichtigt.“

2. Was tun, wenn sich ein Kind vernachlässigt fühlt?

„Eltern sollten offen über ihre Gefühle sprechen, zum Beispiel mit dem Partner, um das eigene Denken und Handeln immer wieder zu reflektieren. Man könnte darauf achten, mit allen Kindern täglich positive Momente zu erleben: Kurz einmal kuscheln oder Umarmungen zwischendurch – das muss keinen großen zeitlichen Aufwand bedeuten. Außerdem könnte man vor dem Schlafengehen liebevolle kleine Rituale mit jedem Kind einführen, wie zum Beispiel gemeinsam darüber nachzudenken, was man toll gefunden hat.“

3. Wie können Eltern auf den Vorwurf „Du hast mich viel weniger lieb!“ reagieren?

„Wichtig ist, Verständnis für die kindlichen Gefühle zu vermitteln und die Aussage nicht einfach als unwahr abzutun. Zudem sollten Eltern als ungleich empfundenes Verhalten kindgerecht erklären. Zum Beispiel braucht der kleine Bruder heute viel Aufmerksamkeit, weil er sich mit seinem Kindergartenfreund gestritten hat und dafür noch nicht so gute Lösungen kennt wie der große Bruder. Und natürlich ist es hilfreich, die Verteilung der Aufmerksamkeit ein anderes Mal wieder auszugleichen.“

4. Welche Folgen kann die Bevorzugung eines Lieblingskindes haben?

„Das Lieblingskind hat möglicherweise Schuldgefühle gegenüber den Geschwistern und muss durch eine gewisse Rivalität vielleicht auch später deren Neid und Ärger aushalten. Das benachteiligte Kind kann an einem geringen Selbstwert und einer negativen Selbstwahrnehmung leiden, Gefühle wie Furcht, Scham oder Einsamkeit entwickeln. Studien haben jedoch gezeigt, dass Kinder zwar oft wahrnehmen, dass ihre Eltern sie anders behandeln als ihre Geschwister. In den meisten Fällen wird dies aber nicht als unfair bewertet, sondern etwa durch den Altersunterschied erklärt. Es kommt also sehr darauf an, wie Kinder das Verhalten der Eltern interpretieren.“