So werden Städte gendergerecht: Interview mit Stadtplanerin Eva Kail
„Gleichstellung soll sich auch im Stadtbild ausdrücken“. Als Eva Kail begann, die Wiener Stadtplanung gendergerecht auch aus der Sicht von Frauen zu denken, erntete sie reichlich Kritik. Heute sind ihre Konzepte international gefragt.
Inhaltsverzeichnis
- Gar nicht leicht, Sie zu erwischen, Frau Kail. Dabei sind Sie doch nach 37 Berufsjahren jetzt in Pension.
- Warum reißt sich die Welt so um Sie?
- Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
- Was haben Sie dann unternommen?
- Gab es Widerstand gegen diese Ideen?
- Wie haben Sie sich dann durchgesetzt?
- Was genau wollten Sie denn anders machen?
- Mit welchen Mitteln haben Sie Gehör gefunden?
- Welche Rolle spielt denn Nachhaltigkeit beim Gender Planning?
- Wie meinen Sie das?
- Was würden Sie gern noch umsetzen, wenn Sie unbegrenzt Kraft und Mittel hätten?
- So wird eine Stadt gendergerecht
Ernsthaft: Kann ein Fußweg, eine Straße, ein Wohnhaus Frauen benachteiligen? Man stellt sich das als Laie ja eher neutral vor. Die Wahrheit ist: Ja, das können sie durchaus, wie die Diplom-Ingenieurin Eva Kail schon in den 1990er-Jahren herausgefunden hat. Wenn es in einer Stadt ums Wohnen, den Verkehr und um öffentliche Räume ging, waren damals Männer und ihre Bedürfnisse noch das Maß aller Dinge. Sie fahren viel Auto? Bauen wir doch mehr Straßen. Frauen wurden, wir kennen es, angeblich „mitgedacht“, aber tatsächlich systematisch benachteiligt. Erst als die Raumplanerin Eva Kail, damals schon bei der Stadt Wien tätig, eine gründliche Datenerhebung startete und untersuchte, wie und wie häufig Frauen und Männer diese Räume nutzen, wurde klar, wie negativ sich diese Art von Fokus auf den Alltag von Frauen auswirkte.
Weil sie damals z. B. zwei Drittel aller Fußwege zurücklegten, hätte sich eine gendergerechte Planung deutlich mehr an ihren Bedürfnissen (etwa mit breiten, gut beleuchteten Wegen) orientieren müssen. Eva Kail packte diesen Missstand an. Das Thema lässt die 65-Jährige bis heute nicht los.
Gar nicht leicht, Sie zu erwischen, Frau Kail. Dabei sind Sie doch nach 37 Berufsjahren jetzt in Pension.
Mein Mann sagt, es sei bei mir schlimmer als vorher. Gerade fliege ich nach Riad zu einer der größten Immobilienmessen der Welt, wo ich einen Vortrag halte. Ich bin auch in einem Beirat in Deutschland und in einer internationalen Arbeitsgruppe zum Thema Gender und räumliche Transformation. Für die GIZ, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, war ich gerade in Hamburg.
Warum reißt sich die Welt so um Sie?
Mein Fachgebiet Gender Planning ist schon seit einiger Zeit international wichtig. Es geht darum, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Menschen aller Geschlechter bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen.
Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Zum ersten Mal ist mir im Studium aufgefallen, dass Planung mit der Geschlechterfrage zu tun haben könnte, bei dem Projekt „Die Entwicklung des Fremdenverkehrs in zwei Landgemeinden im Bundesland Salzburg“. Die eine war ein bereits entwickelter Ski-Ort, die andere ein noch kleines Dorf im Lungau. Wir haben uns den Einfluss der Privatzimmer-Vermietung auf die Entwicklung des Fremdenverkehrs angesehen und die Menschen dort interviewt. Eine Frau sagte: „Das ist so anstrengend gewesen, die Leute wollten immer plaudern, wollten Familienanschluss, und mein Mann hat sich immer so aufgeregt, wenn er heimgekommen ist und die Gäste bei uns im Wohnzimmer gehockt sind.“ Da ist mir gedämmert, dass bei der Privatzimmervermietung die Frauen die ganze Arbeit machen.
Was haben Sie dann unternommen?
Als ich als Planerin bei der Stadt Wien anfing, habe ich mich mit feministischen Planungstheorien beschäftigt. An einem frauenpolitischen Wochenende leitete ich eine Arbeitsgruppe zur Planung. Mein Ansatz war, den eigenen Alltag als Ausgangspunkt zu nehmen: Wie bewege ich mich in der Stadt, wie wohne ich, wie sieht es mit meiner Umgebung aus …? Jede Teilnehmerin hat so ihren Alltag beschrieben, das gab ein buntes Bild. Aus dieser Inspiration ist dann 1991 die Ausstellung „Wem gehört der öffentliche Raum? Frauenalltag in der Stadt“ geworden.
Gab es Widerstand gegen diese Ideen?
Und ob. Da kamen in der Stadtverwaltung Kommentare wie „Sollen wir den Asphalt jetzt etwa rosa streichen?“ Und: „Wenn diese Ausstellung kommt, fordere ich die Ausstellung ,Der Hund oder der Kanarienvogel in der Großstadt‘.“
Wie haben Sie sich dann durchgesetzt?
Zum einen war die Ausstellung ein echter Erfolg. Im Weiteren brauchte es viele Diskussionen. Man muss ja die sozialen Belange in technische Sprache übersetzen. Wenn die Techniker angefangen haben, mit mir zu streiten, da hab ich gemerkt, jetzt reden wir Tacheles.
Was genau wollten Sie denn anders machen?
Bei dem Projekt „Frauen-Werk-Stadt“ ging es uns beispielsweise darum, dass die Grundrisse flexibel sind und sich so an alle Lebensphasen und Bedürfnisse anpassen können. Außerdem wurden unter anderem Küchenerker gebaut, sodass man nach drei Seiten seine Kinder beim Spielen beobachten kann. Die ganze Anlage ist autofrei, hat Läden, einen integrierten Kindergarten und Schulen in der Nähe, kurze Wege sind also garantiert. Mit der geschlechtssensiblen Park- und Spielplatzgestaltung wollten wir Mädchen mehr Raum geben. Denn die üblichen Ballkäfige werden eher von Jungen genutzt; Mädchen ziehen sich bei hohem Nutzungsdruck und einseitigem Angebot eher zurück. Das kann man aber ändern, indem man vielfältigere Angebote und Platz für Sportarten wie Slacklining, Volleyball oder Orte zur Begegnung schafft.
Mit welchen Mitteln haben Sie Gehör gefunden?
Ich habe gelernt: Jury-Entscheidungen werden in den Kaffeepausen getroffen. Man muss schauen, wo sind die Meinungsmacher, und dort mitdiskutieren. Durch gute, aktiv eingebrachte Argumente kann man sich in einem Gremium eine gewisse Position erarbeiten. Ich war immer diejenige, die „blöde Fragen“ stellte. Das ist gruppendynamisch entwaffnend, aber: Wer fragt, führt!
Welche Rolle spielt denn Nachhaltigkeit beim Gender Planning?
Eine große! Hätte man vor 30 Jahren auf die feministischen Stadtplanerinnen gehört, wären die Städte heute deutlich nachhaltiger. Weil wir immer gesagt haben, dass der Umweltverbund, der öffentliche Nahverkehr, das Zu-Fuß-Gehen, das Radfahren gefördert werden müssen. Bei den Leuten, die zu Fuß oder mit den Öffis unterwegs sind, sind Frauen eh in der Mehrheit, da ist es vor allem entscheidend, wie sicher und komfortabel die Infrastruktur ist. Bei Frauen ist auch die emotionale Fetischisierung des Autos weniger ausgeprägt.
Wie meinen Sie das?
Sie haben einfach eine rationalere Haltung zu diesem Verkehrsmittel. Wir haben das mal analysiert: Selbst wenn Frauen das Auto allein zur Verfügung steht, fahren sie rund 20 Prozent weniger damit als Männer. Auch Grünflächen sind aus dieser Sicht schon immer wichtig gewesen: Für alle, die lokal gebunden sind, ist die Qualität des Wohnumfelds entscheidend. Das betrifft natürlich nicht nur Frauen, sondern eben alle, die heute Care-Arbeit machen, außerdem auch Alte, Kinder und körperlich eingeschränkte Menschen. Wenn ich dagegen nur mit dem Auto zum Job und zurück fahre, dann ist mir mein Wohnumfeld relativ wurscht. Weil ich eh nie zu Fuß einkaufen geh.
Was würden Sie gern noch umsetzen, wenn Sie unbegrenzt Kraft und Mittel hätten?
Ich würde gern pragmatische Utopien wie die autofreie Stadt starten. Gerade in Altbauvierteln stehen Autos ja meist auf der Straße, geben nachts Hitze ab, sind mitverantwortlich für diese Tropennächte, unter denen wir im Sommer leiden. In solchen Parkspuren könnte man leicht Bäume pflanzen und Flächen entsiegeln. Ich träume auch manchmal davon, dass man vieles genossenschaftlich verwalten könnte, in kleinen, selbst organisierten Nachbarschaftsnetzen. Mit dörflicher Energie im besten Sinne, mit einem Zusammenhalt, der richtig spürbar wird. Darin liegt für uns vielleicht wirklich die Zukunft.
So wird eine Stadt gendergerecht
Damit sich Menschen jeden Geschlechts und Alters wohlfühlen, müssen deren Bedürfnisse überhaupt erst mal erforscht werden. Klar ist heute, dass Frauen (auch, weil sie immer noch den Großteil der Care-Arbeit leisten) von Folgendem profitieren:
- Kurze Wege zu Schulen, Kindergärten, Dienstleistungen und zum Einkaufen
- Gute Anbindung an die Öffis
- Eine Mischung aus Geschäften, Gastronomie und Wohnungen, sodass nach Geschäftsschluss auch noch Licht brennt, was die Sicherheit erhöht.
- Breitere Gehsteige mit glatteren Belägen für Kinderwagen und Rollatoren
- Mehr Fußgängerzonen mit Fahrradstreifen und glatten Fußwegen (Frauen laufen und radeln mehr)
- Mehr sichere Radwege in komfortabler Breite
- Bäume statt Büschen an Wegen erlauben mehr Durchblick, was die Sicherheit für Frauen erhöht, und bieten im Sommer Schatten.
- Gute Beleuchtung in Straßen, Fahrrad-Abstellräumen, Waschküchen und Stiegenhäusern
- Last but not least: Wenn Straßen öfter mal nach berühmten Frauen benannt sind, sorgt auch das für mehr Gerechtigkeit.