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Obdachlos: Ein Missstand, der uns alle etwas angeht

Leben in Würde

Obdachlos: Ein Missstand, der uns alle etwas angeht

Um an der Gesellschaft teilhaben zu können, ist eine Wohnung eine wichtige Voraussetzung: Ob bei der Arbeitssuche oder der Eröffnung eines Bankkontos – eine Meldeadresse ist Pflicht. Davon abgesehen ist eine Wohnung aber auch ein persönlicher Rückzugsort. Ein Ort, an den man Freunde und Familie einlädt. Ein Ort, an dem man seine Besitzgegenstände und Erinnerungsstücke aufbewahren kann. Menschen, die obdachlos sind, fehlt viel mehr als „nur“ ein Dach über dem Kopf. Welche Gründe hat Obdachlosigkeit und was muss sich ändern, damit ein Leben in Würde für alle Menschen möglich ist?

Was bedeutet „obdachlos“ überhaupt?

Laut Statistik Austria waren im Jahr 2022 ungefähr 20.000 Menschen in Österreich als obdachlos oder wohnungslos registriert. Die Dunkelziffer ist allerdings höher, denn viele Menschen werden von dieser Statistik gar nicht erfasst. Es ist daher wichtig, zwischen den verschiedenen Arten von Obdach- und Wohnungslosigkeit zu unterscheiden.
  • Obdachlos“ sind Menschen, die im öffentlichen Raum leben – also auf der Straße oder in Notschlafstellen und Wärmestuben.
  • Wohnungslos“ sind Menschen, die in zeitlich befristeten Unterkünften leben – etwa in Asylheimen oder Frauenhäusern.
  • Ungesichertes Wohnen“ liegt dann vor, wenn jemand ohne Mietverhältnis bei Freunden, Familie oder Bekannten unterkommt oder von Delogierung bedroht ist. Hier spricht man auch von verdeckter Obdachlosigkeit, von der vor allem Frauen betroffen sind.
  • Ungenügendes Wohnen“ bedeutet, dass jemand in einer notdürftigen und unkonventionellen Behausung lebt – etwa in einem Wohnwagen oder in einem besetzten Abbruchgebäude. Aber auch Menschen, die in überfüllten Wohnungen leben, fallen darunter. (Einen noch genaueren Überblick hat etwa die BAWO Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hier veröffentlicht.)
Obdachlosen-Organisationen bemängeln schon länger, dass die Statistik nicht die reale Situation widerspiegelt. Sie fordern daher, dass die Erhebungsmethoden verbessert werden. Denn nur wenn der tatsächliche Bedarf bekannt ist, kann auch mit passenden Maßnahmen gegengesteuert werden. Zudem bringt die ungenaue Statistik ein Problem auf individueller Ebene mit sich: Menschen, die verdeckt wohnungslos, aber der strengen Definition nach nicht obdachlos sind, haben nämlich keinen Anspruch auf Wohnungslosenhilfe.

Darum kann Obdachlosigkeit jeden treffen

Warum Menschen obdachlos werden, hat verschiedene Ursachen. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sind es oft Brüche in der eigenen Biografie: Trennung, Scheidung, Krankheit. Ja, auch solche Schicksalsschläge und Lebenskrisen können in die Wohnungs- und Obdachlosigkeit führen. Aber als Hauptgrund machen Expertinnen und Experten andere Faktoren aus: Die Sozialarbeiterin und Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Hammer benennt in ihrem Buch „Hinschauen statt Wegschauen. Wie eine Gesellschaft ohne Wohnungslosigkeit möglich ist“ (Picus Verlag) vor allem die Kombination von steigenden Wohnkosten und stagnierenden Einkommen.

Dass leistbarer Wohnraum zunehmend zur Mangelware wird, betrifft vor allem Familien mit niedrigem Einkommen, Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern sowie junge Menschen. Denn armutsgefährdete Menschen müssen einen sehr hohen Anteil ihres Haushaltseinkommens fürs Wohnen aufwenden. Doch im Grunde kann jede und jeder von Obdachlosigkeit bedroht sein. Denn einen Satz hört Elisabeth Hammer, die auch Geschäftsführerin der Wiener Sozialorganisation „neunerhaus“ ist, immer wieder: „Ich hätte nie gedacht, dass mir das einmal passiert.“

Welche Lösungen gegen Obdachlosigkeit gibt es?

Die EU möchte die Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 beenden. Einige Staaten haben bereits eine nationale Strategie dafür erarbeitet. In Österreich liegt diese bisher noch nicht vor. Ein Missstand, der auch von Amnesty International kritisiert wird: Da die Zuständigkeit in den einzelnen Bundesländern liegt, macht es für die Betroffenen einen großen Unterschied, wo sie obdachlos sind.

Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leisten sehr wichtige Unterstützung für Betroffene. Es gibt Angebote in den Bereichen Beratung und Gesundheit, ebenso Notschlafstellen, vorübergehende Unterkünfte und Einrichtungen, in denen Obdachlose sich tagsüber aufhalten können. Am effektivsten wird von Expertinnen und Experten das Konzept „Housing First“ beurteilt: Dabei wird Menschen mit dringendem Wohnbedarf direkt eine leistbare Wohnung mit eigenem Mietvertrag vermittelt. Gleichzeitig bekommen sie genau jene sozialarbeiterische Begleitung und Unterstützung, die sie benötigen. Die Bedingungen dafür zu schaffen, ist Aufgabe der Politik, fordern Organisationen der Wohnungslosenhilfe.

Denn an sich ist Wohnen ein Menschenrecht. Doch dieses Recht kann in Österreich nicht eingeklagt werden. Auch das ist ein Umstand, der sich dringend ändern müsste. „Es geht nicht darum, dass der Staat allen Menschen eine Wohnung zur Verfügung stellt, sondern dass er Voraussetzungen und ein System schafft, in dem Wohnen für jeden und jede möglich wird“, sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International. Mit anderen Worten: Es braucht einen Wohnungsmarkt, in dem für alle Menschen Platz ist – auch für Menschen mit sehr niedrigem Einkommen.

Wie kann man Obdachlosen helfen?

Auch wenn es vor allem eine politische Aufgabe ist, Obdachlosigkeit zu beenden, kann jede und jeder Einzelne etwas dafür tun, dass es Betroffenen in unserer Gesellschaft besser geht. Das beginnt schon bei der Wahrnehmung von Menschen, die offensichtlich obdachlos sind. Nicht nur Kälte, Nässe und Hunger setzen den Menschen auf der Straße zu, sondern auch die Ablehnung und das Unverständnis vieler Mitmenschen. Obdachlose sind weder bedauernswerte Einzelschicksale, deren Unterstützung ein Almosen des Staates ist, noch sind sie in irgendeiner Form selbst schuld an ihrer Situation. Sondern es sind Menschen wie du und ich, die vor allem wegen struktureller Missstände in diese Situation geraten sind. Mit dieser Haltung begegnet man obdachlosen Menschen ganz anders.

Ganz konkrete Hilfe kann man leisten, indem man mit aufmerksamen Augen durch die Straßen geht und bei unklaren Situationen das Gespräch sucht, nachfragt, ob alles in Ordnung ist. Im Fall des Falls können Kältetelefone und Hotlines kontaktiert werden (eine Übersicht dazu finden Sie hier). Auch Spenden ist eine Möglichkeit, etwa direkt bei den jeweiligen Organisationen oder zum Beispiel für die dm Festessen für Obdachlose, die seit 2019 jedes Jahr im Dezember in Notunterkünften und Wärmestuben stattfinden.

Wem das noch zu wenig ist, der kann sich mit Freiwilligenarbeit bei Organisationen engagieren. Einfach mal vor Ort nachfragen, welche Art von Hilfe gebraucht wird, ist hier der erste Schritt. Übrigens: Noch mehr Ideen für 24 gute Taten in der Weihnachtszeit finden Sie hier.