Ernährung für Flexitarier: Darauf kommt es laut Diätologin an
Flexitarier sind flexible Vegetarier. Sie ernähren sich hauptsächlich von Obst und Gemüse, Nüssen, Samen, Hülsenfrüchten und Getreideprodukten – dazu kombinieren sie ab und zu Fisch, Fleisch oder Geflügel, überwiegend aus artgerechter Haltung. Worauf es bei dieser Ernährungsform ganz konkret ankommt, weiß Christina Süß, Diätologin und Ernährungswissenschafterin aus Schärding.
Inhaltsverzeichnis
- Frau Süß, BBSc.: Was bedeutet flexitarische Ernährung? Und wie unterscheidet sie sich von anderen Ernährungsformen wie vegetarisch oder vegan?
- Welche gesundheitlichen Vorteile kann eine flexitarische Ernährung mit sich bringen?
- Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse oder Studien, die die positiven Effekte dieser Ernährungsweise belegen?
- Wie oft „darf“ man bei einer flexitarischen Ernährung Fleisch essen – gibt es hier eine Faustregel oder Empfehlung?
- Welche pflanzlichen Alternativen zu Fleisch sind aus ernährungsphysiologischer Sicht besonders empfehlenswert?
- Worauf sollte man achten, um trotz reduziertem Fleischkonsum ausreichend mit Nährstoffen wie Eisen, Vitamin B12 oder Proteinen versorgt zu sein?
- Für wen ist eine flexitarische Ernährungbesonders geeignet – und gibt es auch Gruppen, für die sie weniger empfehlenswert ist?
- Welche Fehler passieren häufig bei dem Versuch, sich flexitarisch zu ernähren?
- Wie lassen sich flexitarische Prinzipien im Alltag umsetzen – insbesondere dann, wenn wenig Zeit fürs Kochen bleibt?
- Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der flexitarischen Ernährung? Und welchen Beitrag kann man damit für Umwelt und Klima leisten?
Christina Süß ist Diätologin und Ernährungswissenschafterin in Schärding, Oberösterreich. Seit über zehn Jahren begleitet die Zweifachmama Menschen bei der Entwicklung eines gesunden Essverhaltens – ganz ohne Verbote und Einschränkungen.
Frau Süß, BBSc.: Was bedeutet flexitarische Ernährung? Und wie unterscheidet sie sich von anderen Ernährungsformen wie vegetarisch oder vegan?
Das Wort „flexitarisch“ ergibt sich aus „flexibel“ und „vegetarisch“. Flexitarier erlauben sich grundsätzlich alle Nahrungsmittel tierischen und pflanzlichen Ursprungs. Sie reduzieren jedoch ganz bewusst den Konsum von Fleisch und Fisch. Das ist auch der Unterschied zur vegetarischen Ernährung, in der weder Fleisch noch Fisch gegessen wird beziehungsweise zur veganen Ernährung, bei der gänzlich auf Lebensmittel tierischen Ursprungs verzichtet wird.
Welche gesundheitlichen Vorteile kann eine flexitarische Ernährung mit sich bringen?
Das Fundament der flexitarischen Ernährung bilden Lebensmittelgruppen wie Gemüse, Obst, Getreideprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen. Daraus ergibt sich eine große Vielfalt an Nährstoffen wie Vitaminen, Ballaststoffen, Antioxidantien und sekundären Pflanzenstoffen, die nicht nur die allgemeine Gesundheit, sondern auch die Darmgesundheit fördern. Ein gesunder Darm wirkt sich auf unsere Verdauung, das Immunsystem, das hormonelle Gleichgewicht und sogar die Stimmung aus. Durch den reduzierten Fleischkonsum verringert sich außerdem zusätzlich das Risiko für Krankheiten wie Darmkrebs, Diabetes Mellitus Typ 2 oder Herz-Kreislauferkrankungen.
Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse oder Studien, die die positiven Effekte dieser Ernährungsweise belegen?
Ja, einige! Eine umfassende Meta-Analyse – das ist eine Zusammenfassung mehrerer Studien, – aus dem Jahr 2021 zeigt beispielsweise, dass eine flexitarische Ernährung mit einer geringeren Gesamtsterblichkeit und verbesserten Herz-Kreislauf-Gesundheit in Verbindung steht. Auch die American Heart Association, kurz AHA, spricht sich für eine pflanzenbetonte Ernährungsweise aus und hebt insbesondere die flexitarische Ernährung zur Vorbeugung chronischer Erkrankungen hervor.
Wie oft „darf“ man bei einer flexitarischen Ernährung Fleisch essen – gibt es hier eine Faustregel oder Empfehlung?
Es gibt keine einheitliche Empfehlung, die vorgibt, wie viel Fleisch pro Woche „erlaubt“ ist. Im Vergleich: Für „Mischköstler“ empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, kurz DGE, maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Die EPIC-Oxford-Studie, eine der größten Langzeitstudien im Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit, ordnet die flexitarische Ernährung bei maximal ein bis drei Fleischmahlzeiten pro Woche mit weniger als 50 Gramm Fleisch pro Tag ein. Grundsätzlich ist es dem Flexitarier selbst überlassen, wie viel Fleisch er oder sie essen möchte.
Welche pflanzlichen Alternativen zu Fleisch sind aus ernährungsphysiologischer Sicht besonders empfehlenswert?
Tofu, Tempeh, Lupinen, Sojaprodukte, Hülsenfrüchte wie Kichererbsen und Bohnen sowie Seitan sind aus ernährungsphysiologischer Sicht besonders wertvoll. Sie liefern nicht nur hochwertiges, pflanzliches Eiweiß, sondern auch viele weitere Nährstoffe. Stark verarbeitete Fleischersatzprodukte können zwar eine gute Eiweißquelle darstellen, jedoch sollten sie aufgrund des meist sehr hohen Salzgehalts und der Menge an Zusatzstoffen die Ausnahme bleiben und nur gelegentlich verzehrt werden.
Worauf sollte man achten, um trotz reduziertem Fleischkonsum ausreichend mit Nährstoffen wie Eisen, Vitamin B12 oder Proteinen versorgt zu sein?
Auch in einer flexitarischen Ernährung ist es durchaus möglich, mit den natürlichen Nahrungsmitteln eine gute Versorgung von Eisen, Vitamin B12 oder Eiweiß zu bekommen. Neben den oben genannten pflanzlichen Alternativen zu Fleisch, die eine gute Eiweißquelle darstellen, empfehle ich, zusätzlich Eier und Milchprodukte zu essen. Zu eisenreichen pflanzlichen Lebensmitteln zählen Pseudogetreide wie Hirse, Quinoa und Amaranth, außerdem Linsen, Kürbiskerne, Sesam, Leinsamen, Tofu und Haferflocken. Und auch Eigelb enthält Eisen. Um den Körper bei der Eisenaufnahme zu unterstützen, ist es wichtig, eisenreiche Lebensmittel mit einer Vitamin-C-Quelle wie Paprika, Brokkoli, Beeren, Petersilie oder Zitrusfrüchte zu kombinieren. Vitamin B12 ist einer der kritischen Nährstoffe, wenn wenig Fleisch gegessen wird. Eier und Milchprodukte enthalten meist geringere Mengen Vitamin B12 als Fleisch, deshalb ist es sinnvoll, Lebensmittel, die mit Vitamin B12 angereichert werden, wie das etwa bei manchen Pflanzendrinks oder Hefeflocken der Fall ist, zu ergänzen.
Für wen ist eine flexitarische Ernährungbesonders geeignet – und gibt es auch Gruppen, für die sie weniger empfehlenswert ist?
Flexitarisch zu essen, ist für die meisten Menschen, die sich dafür entscheiden, nicht nur eine gesunde, sondern auch eine nachhaltigere Ernährungsweise. Sie eignet sich also auch für Menschen mit Umwelt- oder Tierwohlbewusstsein, die ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren möchten. Oder für jemanden, der sich Schritt für Schritt in Richtung einer vegetarischen beziehungsweise veganen Ernährung bewegen möchte. Grundsätzlich ist diese Ernährungsform für alle Menschen empfehlenswert. Und doch gibt es auch hier bestimmte Personengruppen oder Lebensphasen, wie zum Beispiel ältere Menschen oder während der Schwangerschaft und Stillzeit, wo auf die Versorgung von kritischen Nährstoffen –siehe oben – geachtet werden soll. In diesen speziellen Fällen ist eventuell eine Begleitung durch eine geeignete Ernährungsfachkraft ratsam und sinnvoll, um Mangelernährung zu vermeiden.
Welche Fehler passieren häufig bei dem Versuch, sich flexitarisch zu ernähren?
Wenn bestimmte Lebensmittel wie Fleisch oder Fisch nicht mehr gegessen werden, ist es wichtig, den Wegfall der enthaltenen Nährstoffe wie Eiweiß, Eisen oder Vitamin B12 gezielt durch andere Lebensmittel zu ersetzen, um hier keine Unterversorgung zu riskieren. Es ist ratsam, sich wirklich mit der eigenen Ernährung auseinanderzusetzen und gute alternative Quellen für besagte Nährstoffe zu finden. Zu viele stark verarbeitete Fleischersatzprodukte sollten, wie oben erwähnt, ebenso als gelegentliche Ergänzung und nicht als Basis gesehen werden. Flexitarisch zu essen funktioniert am besten, wenn man nicht nur im Sinne von „weniger Fleisch“, sondern mehr Vielfalt und Nährstoffe denkt. Jemand, der sich für eine flexitarische Ernährung entscheidet, sich aber bisher noch nicht allzu viel mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt hat, kann sich notwendige Informationen auch bei einer Diätologin einholen.
Wie lassen sich flexitarische Prinzipien im Alltag umsetzen – insbesondere dann, wenn wenig Zeit fürs Kochen bleibt?
Ich sehe das so: Kochen wird immer etwas Zeit in Anspruch nehmen. Es kann darum hilfreich sein, sich am Wochenende bewusst Zeit zu nehmen, um die ganze Woche im Vorhinein zu planen. So lässt sich diese unangenehme Situation vermeiden, in der der Hunger groß, aber die Zeit knapp ist.
Als Zweifachmama habe ich mittlerweile einige Zeitspar-Hacks entwickelt, die ich an dieser Stelle gerne teilen möchte:
1. Bestimmte länger haltbare Basislebensmittel wie Hülsenfrüchte, entweder in der Dose oder in getrockneter Form, Gemüse, auch TK-Gemüse, Tofu und Tempeh, Pflanzendrinks, Nüsse, Kerne, Getreideprodukte wie Quinoa oder Hirse hat man am besten immer auf Vorrat zuhause.
2. Meal Prep „Light“: größere Mengen vorkochen, wie beispielsweise Linsen. Die vorgekochten Mengen werden im Kühlschrank gelagert – und daraus lassen sich dann gleich mehrere Gerichte, wie Linsensalat, Linsencurry, Linsensuppe, Linsenbolognese zaubern. Das klappt auch ganz hervorragend mit anderen Hülsenfrüchten wie Kichererbsen, Bohnen, Reis oder Kartoffeln. Wenn gerade kein frisches Gemüse verfügbar ist, kann man auch auf Tiefkühl-Gemüse zurückgreifen. Das ist aufgrund des Schockfrostens kurz nach der Ernte sogar vitaminreicher als so manches frisches Gemüse. Dasselbe gilt übrigens auch für Tiefkühl-Obst.
3. Am besten auch gleich Aufläufe oder Eintöpfe vorkochen, wie etwa Curry oder Chili sin Carne. Die lassen sich super einfrieren und an einem anderen Tag genießen.
4. Schnelle Rezepte wie Shakshuka, Gemüsesomelette, Bowl, gefüllte Wraps, Bohnenpatties/Falafel, Haferflockenlaibchen, Aufstriche, schnelles Curry mit Tofu oder Kichererbsen sind immer eine tolle und gesunde Idee, die zwar am Anfang ein bisschen mehr Zeit beanspruchen, aber auf lange Sicht definitiv dabei helfen, Zeit zu sparen.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der flexitarischen Ernährung? Und welchen Beitrag kann man damit für Umwelt und Klima leisten?
Flexitarisch zu essen, ist ein starker Hebel für den Klimaschutz! Denn weniger tierische Produkte zu essen, bedeutet weniger Treibhausgase, weniger Land- und Wasserverbrauch und weniger Regenwald-Abholzung für die Herstellung von Tierfutter. Zudem fördert die flexitarische Ernährung eine ressourcenschonendere Landwirtschaft. Wer bewusster konsumiert und häufiger auf pflanzliche Alternativen zurückgreift, trägt dazu bei, seinen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Auch der Energieverbrauch in der Lebensmittelproduktion sinkt, da pflanzliche Lebensmittel in der Regel weniger Verarbeitung und Transportaufwand erfordern. Nachhaltigkeit bedeutet hier nicht Verzicht, sondern ein verantwortungsvollerer Umgang mit der Umwelt, dem Klima und zukünftigen Generationen.
Ich bin davon überzeugt: Jeder Teller zählt! Schon ein paar fleischfreie Tage pro Woche machen sowohl für die Gesundheit als auch für die Umwelt einen Unterschied.