Tipps der Expertin: So stärken Eltern die Beziehung von Geschwistern
Jedes neue Mitglied verändert eine Familie. Sobald ein kleines Geschwister geboren wird, kommen viele Herausforderungen auf die Eltern zu: Werden sich die Kinder gut verstehen? Was können sie selbst dazu beitragen, dass die Geschwister später eine gute Beziehung zueinander haben? Unsere Familienexpertin Sandra Teml-Wall beantwortet die wichtigsten Fragen.
Inhaltsverzeichnis
- Gibt es den perfekten Altersabstand zwischen Geschwistern?
- Wie viel Einfluss haben Eltern auf die Geschwisterbeziehung?
- Wie können Eltern ältere Kinder auf ein neues Geschwister vorbereiten?
- Wie können Eltern die Beziehung von Geschwistern fördern?
- Wie können Eltern mit Eifersucht und Rivalität umgehen?
- Wie können Eltern Streit unter Geschwistern begleiten?
- Was ist wichtig bei besonderen Geschwisterbeziehungen?
Mag.a Sandra Teml-Wall ist Eltern- und Familienberaterin, Pädagogin, Sexualtherapeutin und Autorin mit eigener Coaching- und Beratungspraxis in Wien.
Seien es die Zwillingsschwestern Hanni und Nanni in der gleichnamigen Kinderbuchreihe von Enid Blyton, die erfolgreichen Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams oder Malcolm und Angus Young, die Gründer der Rockband AC/DC – Geschwisterbeziehungen sind etwas Besonderes. Sie zählen zu den längsten Beziehungen, die Menschen in ihrem Leben haben. Geschwister sind Vorbilder, Verbündete – und Konkurrenten. Nicht nur die Geschwisterkinder, auch die Eltern stehen vor neuen Herausforderungen, wenn sich weiterer Nachwuchs ankündigt. Die Familienpsychologin Sandra Teml-Wall beantwortet die wichtigsten Fragen.
Es gibt viele Studien dazu, was der perfekte Altersabstand zwischen Geschwistern ist. Die meisten kommen zu dem Schluss, dass rund drei Jahre sich vorteilhaft auf die Beziehung der Kinder untereinander und auch auf die Paarbeziehung der Eltern auswirken.
Doch nicht immer lässt sich eine Schwangerschaft planen, und zudem ist jede Familiensituation individuell. „Ich glaube nicht, dass es einen ‚perfekten‘ Altersabstand gibt“, beruhigt Teml-Wall. „Jeder Abstand hat Vor- und Nachteile: Ein kleiner Abstand kann zu stärkerer Nähe, aber auch zu mehr Konkurrenz führen. Ein größerer Abstand bedeutet meist mehr Unabhängigkeit, aber weniger gemeinsame Interessen. Was wirklich zählt, ist die emotionale Qualität der Beziehung zwischen den Geschwistern.“
Sogar die oft zitierten Rollen innerhalb der Familie – das verantwortungsbewusste älteste Kind, das übersehene Sandwich-Kind und das verwöhnte Nesthäkchen – lassen sich laut einer Studie statistisch nicht belegen. Ebenfalls keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit hat die Tatsache, ob man einen Bruder oder eine Schwester hat, wie eine Metastudie zeigte.
Allerdings gibt es Faktoren, die Eltern nicht oder nur wenig beeinflussen können, etwa die Persönlichkeiten der Kinder. „Die Eltern sind eingeladen, diese Unterschiede anzuerkennen und den Kindern zu helfen, eine positive Beziehung zu sich selbst und auch zueinander zu entwickeln, ohne die natürliche Dynamik zu stark zu beeinflussen. Mütter und Väter können also den Rahmen dafür setzen, wie innerhalb der Familie miteinander umgegangen wird“, so die Expertin.
„Eltern sollten ältere Kinder frühzeitig und offen in die Vorbereitungen einbeziehen, seine Gefühle, Ängste und Sorgen respektieren und ihm versichern, dass seine Rolle weiterhin wichtig bleibt“, erklärt Teml-Wall. Dabei sei es wichtig, dass Kinder eine eigene Haltung zum Geschwister entwickeln dürfen, ohne in eine Erwartungshaltung gedrängt zu werden. Und selbst bei der besten Vorbereitung sollten Eltern offen sein für Überraschungen, betont die Expertin: „Es kann sein, dass sich das Erstgeborene überhaupt nicht freut, wenn das Baby nach Hause kommt, obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt noch voller Vorfreude war. Dann müssen Eltern mit all diesen Enttäuschungen umgehen.“
Gibt es den perfekten Altersabstand zwischen Geschwistern?
Obwohl die Familien in westlichen Gesellschaften tendenziell immer kleiner werden, leben in Österreich rund 79 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren mit mindestens einem Geschwister im selben Haushalt. Das bedeutet, dass sich die meisten Eltern irgendwann die Frage stellen: Sind wir bereit für ein zweites Kind?Es gibt viele Studien dazu, was der perfekte Altersabstand zwischen Geschwistern ist. Die meisten kommen zu dem Schluss, dass rund drei Jahre sich vorteilhaft auf die Beziehung der Kinder untereinander und auch auf die Paarbeziehung der Eltern auswirken.
Doch nicht immer lässt sich eine Schwangerschaft planen, und zudem ist jede Familiensituation individuell. „Ich glaube nicht, dass es einen ‚perfekten‘ Altersabstand gibt“, beruhigt Teml-Wall. „Jeder Abstand hat Vor- und Nachteile: Ein kleiner Abstand kann zu stärkerer Nähe, aber auch zu mehr Konkurrenz führen. Ein größerer Abstand bedeutet meist mehr Unabhängigkeit, aber weniger gemeinsame Interessen. Was wirklich zählt, ist die emotionale Qualität der Beziehung zwischen den Geschwistern.“
Sogar die oft zitierten Rollen innerhalb der Familie – das verantwortungsbewusste älteste Kind, das übersehene Sandwich-Kind und das verwöhnte Nesthäkchen – lassen sich laut einer Studie statistisch nicht belegen. Ebenfalls keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit hat die Tatsache, ob man einen Bruder oder eine Schwester hat, wie eine Metastudie zeigte.
Geburtenabstand aus medizinischer Sicht
Neben dieser entwicklungspsychologischen Sichtweise gibt es auch noch eine medizinische Perspektive auf die Frage, wie sich der zeitliche Abstand zwischen zwei Schwangerschaften auf Mutter und Baby auswirkt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, nach einer Geburt 24 Monate bis zur nächsten Schwangerschaft zu warten. Hintergrund dafür waren Studien aus Schwellenländern, die bei einem Abstand von weniger als 18 Monaten erhöhte Risiken für das Ungeborene feststellten. Eine Studie aus Australien, Norwegen, Finnland und den USA hat die Situation in Ländern mit höheren Einkommen untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass eine Wartezeit von ein bis zwei Jahren vor einer erneuten Schwangerschaft mit den wenigsten Komplikationen für Mutter und Baby einhergeht.Wie viel Einfluss haben Eltern auf die Geschwisterbeziehung?
„Eltern haben einen großen Einfluss auf die Geschwisterbeziehung, vor allem durch ihr Vorbild und ihre Art, wie sie selbst untereinander Konflikte handhaben“, betont Teml-Wall. Die Geschwisterforschung zeigt auch, dass der Erziehungsstil der Eltern sich darauf auswirken kann: Ein fürsorglicher Erziehungsstil führt zu besseren geschwisterlichen Beziehungen, umgekehrt haben strenge Strafen oder eine aggressive Sprache der Eltern negative Konsequenzen.Allerdings gibt es Faktoren, die Eltern nicht oder nur wenig beeinflussen können, etwa die Persönlichkeiten der Kinder. „Die Eltern sind eingeladen, diese Unterschiede anzuerkennen und den Kindern zu helfen, eine positive Beziehung zu sich selbst und auch zueinander zu entwickeln, ohne die natürliche Dynamik zu stark zu beeinflussen. Mütter und Väter können also den Rahmen dafür setzen, wie innerhalb der Familie miteinander umgegangen wird“, so die Expertin.
Wie können Eltern ältere Kinder auf ein neues Geschwister vorbereiten?
Die Beziehung zu einer kleinen Schwester oder einem kleinen Bruder beginnt bereits vor der Geburt: Der Fötus kann schon im Mutterleib Stimmen und Berührungen durch die Bauchdecke der Schwangeren wahrnehmen. Und auch die älteren Geschwister bekommen mit, wie über das zukünftige Familienmitglied gesprochen wird und wie es sich in Mamas Bauch bewegt.„Eltern sollten ältere Kinder frühzeitig und offen in die Vorbereitungen einbeziehen, seine Gefühle, Ängste und Sorgen respektieren und ihm versichern, dass seine Rolle weiterhin wichtig bleibt“, erklärt Teml-Wall. Dabei sei es wichtig, dass Kinder eine eigene Haltung zum Geschwister entwickeln dürfen, ohne in eine Erwartungshaltung gedrängt zu werden. Und selbst bei der besten Vorbereitung sollten Eltern offen sein für Überraschungen, betont die Expertin: „Es kann sein, dass sich das Erstgeborene überhaupt nicht freut, wenn das Baby nach Hause kommt, obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt noch voller Vorfreude war. Dann müssen Eltern mit all diesen Enttäuschungen umgehen.“
Lesen Sie hier, wie man mit Kleinkind gut durch die Schwangerschaft und das Wochenbett kommt.
Wie können Eltern die Beziehung von Geschwistern fördern?
Laut der Familienpsychologin entsteht ein gutes Geschwisterverhältnis in einem familiären Umfeld, das auf Respekt, Kooperation und individueller Aufmerksamkeit basiert und in dem Eltern gemeinsam an einem Strang ziehen: „Jedes Kind darf seine eigenen Stärken entwickeln, seine Gefühle ausdrücken. Ständige Vergleiche sind nicht gut.“ Absolute Gleichbehandlung ist unmöglich – und auch nicht zielführend, denn jedes Kind ist anders. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Kinder das Gefühl haben, dass alle Bedürfnisse gesehen werden und die Eltern sie fair behandeln. Studien haben herausgefunden, dass es sonst zur Entfremdung der Geschwister kommen kann, bis ins Erwachsenenalter hinein.Der elterliche Anspruch an sich selbst, allen Kindern jederzeit im gleichen Maße gerecht zu werden, kann im turbulenten Familienalltag ziemlich anstrengend sein. Teml-Wall fordert hier zu mehr Gelassenheit auf: „Seien Sie als Eltern nachsichtig mit sich selbst. Fehler sind erlaubt und können korrigiert werden. Wer Elternschaft als persönliches Wachstum sehen kann, dem wird vieles leichter fallen.“
Doch was, wenn trotz aller elterlichen Bemühungen die Geschwister keinen Draht zueinander finden? Dann sollten das die Eltern laut Expertin akzeptieren. „Geschwister müssen keine besten Freunde sein und auch nicht dieselben Interessen haben. Wichtiger ist, dass sie lernen, einander zu akzeptieren und respektvoll miteinander umzugehen“, sagt Teml-Wall. Und selbst wenn sich Geschwister als Kinder ständig in die Haare kriegen, kann es sein, dass sie als Erwachsene auf einmal ein engeres, vertrauteres Verhältnis haben als früher. Denn das Gute an Beziehungen ist, dass sie sich verändern, reifen und immer wieder neu definieren können.
Wie können Eltern mit Eifersucht und Rivalität umgehen?
Eines vorweg: Eifersucht und Rivalität sind normale und natürliche Gefühle, die in Geschwisterbeziehungen häufig auftreten. Kein Wunder: Die elterliche Aufmerksamkeit, aber auch finanzielle Ressourcen sind begrenzt. Anders als Einzelkinder müssen Geschwister zwangsläufig viel mehr teilen.„Eltern sollten diese Gefühle nicht verurteilen, sondern ihnen mit Offenheit und Interesse begegnen. Sie dürfen ihre Kinder ermutigen, ihre Gefühle auszudrücken, und können ihnen helfen, konstruktiv damit umzugehen“, sagt Teml-Wall. Ständige Vergleiche zwischen den Kindern führen zu mehr Konkurrenz. Stattdessen sollten Eltern allen Kindern gleichermaßen das Gefühl geben, wertvoll und geliebt zu sein.
Und was tun, wenn das ältere Kind nach der Geburt eines Geschwisters plötzlich Rückschritte in seiner Entwicklung zu machen scheint – wenn es zum Beispiel wieder die Babymilch aus dem Fläschchen verlangt oder wieder gewickelt werden möchte? Hier sollten laut der Familienpsychologin die Eltern herausfinden, was wirklich dahintersteckt: „Solche Wünsche drücken oft das Bedürfnis nach mehr Nähe und Geborgenheit aus. Indem Eltern darauf eingehen, geben sie dem Kind ein Gefühl von Sicherheit. Allerdings dürfen sie ihm auch ‚zumuten‘, nicht jeden Wunsch zu erfüllen“, erklärt die Familienpsychologin. Wenn Mutter und Vater einen Wunsch verweigern, sollten sie ihrem Kind empathisch und liebevoll erklären, warum sie in der Situation so handeln. Das vermittelt dem Kind dennoch das Gefühl, angenommen und geliebt zu sein.
Lesen Sie hier, was eine Psychologin Eltern rät, wie sie mit dem Thema Lieblingskind umgehen können.
Wie können Eltern Streit unter Geschwistern begleiten?
Anders als Freundinnen und Freunde können sich Kinder ihre Geschwister nicht aussuchen. Trotzdem müssen sie irgendwie mit ihnen auskommen und meistens auf mehr oder weniger engem Raum zusammenleben. Konflikte sind da unvermeidbar. Nach Beobachtungen der US-amerikanischen Psychologin Laurie Kramer kommt es mehrmals in der Stunde zwischen Geschwistern zum Streit: Im Alter von zwei bis vier Jahren kracht es durchschnittlich alle zehn Minuten, im Alter zwischen drei und sieben Jahren immer noch dreieinhalb Mal pro Stunde.Ganz schön häufig – kein Wunder, wenn Eltern davon genervt sind. Doch vielleicht hilft der tröstende Gedanke, dass die Kinder durch Streiten soziale Kompetenzen erlernen. Die Expertin entbindet Eltern auch von der gefühlten Pflicht, in jeden Streit einzugreifen, solange dieser nicht eskaliert oder destruktiv wird: „Eltern können den Kindern Raum geben, ihre Konflikte selbst zu lösen. Oft entspannt sich die Situation auch durch die Anwesenheit eines unaufgeregten, liebevoll zugewandten Elternteils.“ Wenn Eltern sich in einen Streit unter Geschwistern einmischen, ist es wichtig, dass sie keine Partei ergreifen. Vielmehr sollten sie den Kindern dabei helfen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Den Kindern eine fertig durchdachte Lösung zu präsentieren und diese durchsetzen zu wollen, ist nicht zielführend.
Das alles verlangt Eltern einiges ab. Doch wenn man als Mutter oder Vater durch die Streitigkeiten seiner Kinder übermäßig genervt oder gestresst ist, sollte man genauer hinsehen. Denn Teml-Wall beobachtet oft in ihrer Beratungspraxis, dass Kinder in ihren Eltern eigene, tief begrabene Kindheitserinnerungen wachrütteln. „Wenn Eltern bemerken, dass sie durch die Konflikte ihrer Kinder getriggert werden, lohnt es sich, das aufzuarbeiten“, ermutigt die Psychologin.
Lesen Sie hier, wie man mit psychischen Verletzungen aus der Kindheit umgehen und sein inneres Kind heilen kann.
Was ist wichtig bei besonderen Geschwisterbeziehungen?
Familienkonstellationen werden immer vielfältiger. Nicht alle Kinder wachsen mit leiblichen Geschwistern auf, sondern immer öfter auch mit Stiefgeschwistern in Patchwork-Familien. Das kann ganz eigene Herausforderungen für die Geschwisterbeziehung mit sich bringen. „Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Eigenheiten der Kinder zu beachten und keine vorgefassten Wünsche auf die Kinder zu projizieren“, betont Teml-Wall. „Beziehungen sollten nicht erzwungen werden. Es braucht Zeit und Geduld, damit Bindungen sich auf natürliche Weise entwickeln können.“ Laut der US-amerikanischen Familienforscherin Patricia Papernow dauert es in der Regel sieben Jahre, bis jeder seine Rolle in der neuen Gemeinschaft gefunden hat.Auch bei Zwillingen, bei sehr engem oder sehr großem Altersabstand oder bei Geschwisterkindern mit schweren Erkrankungen oder Beeinträchtigungen sind die Eltern besonders gefordert, allen Kindern gerecht zu werden. Der Tipp der Familienpsychologin lautet hier: „Die Eltern sollten darauf achten, jedes Kind als eigenständige Persönlichkeit zu sehen und nicht als Teil einer symbiotischen Einheit.“