Interview mit Frauenfußball-Star Viktoria Schnaderbeck
Dass Frauenfußball heute so eine Strahlkraft hat, liegt auch an ihr: Viktoria Schnaderbeck, langjährige Kapitänin des österreichischen Nationalteams, steht für Stärke, Spirit und Inspiration – weit über den Sport hinaus.
Inhaltsverzeichnis
- Welche Skills braucht man als Frau, um sich in einer Männerwelt wie dem Fußball durchzusetzen?
- Wie kommt ein Mädchen überhaupt darauf, Fußballerin werden zu wollen?
- Waren Sie das einzige Mädchen?
- Waren Sie traurig über den Wechsel?
- Hatten Sie in der Familie immer Unterstützung?
- Fühlten Sie sich benachteiligt?
- Hat sich das verbessert?
- Führt das zu übergriffigem Verhalten? Wie im Fall des spanischen Verbandschefs Luis Rubiales, der der Weltmeisterin Jennifer Hermoso nach dem WM-Finale einen Kuss aufzwang?
- Sie selbst sind die ganzen Jahre von Übergriffigkeiten verschont geblieben?
- Sie sind jetzt auch TV-Expertin im Männerfußball, merken Sie Diskriminierung?
- Sie könnten sich Social Media einfach nicht mehr anschauen.
- Ist Homosexualität im Frauenfußball eher akzeptiert als bei den Männern?
- Sie mussten so einige Niederlagen wegstecken. Wie schafft man das immer wieder? Den ersten Kreuzbandriss hatten Sie schon mit 17, als Sie gerade beim FC Bayern angefangen hatten …
- Wie ist es, wenn mit Anfang 30 die großen Ziele bereits abgehakt sind?
- Sie sind nicht in das berühmte Loch gefallen, als Schluss war?
- Souverän den eigenen Weg gehen? Viktoria Schnaderbecks Tipps
In ihrem Kinderzimmer hingen Poster berühmter Fußballer wie Lothar Matthäus, Stefan Effenberg und Roy Makaay. Heute ist Viktoria Schnaderbeck selbst ein Star, Vorbild für Frauen und Mädchen nicht nur im Sport. 83 Mal stand sie mit dem österreichischen Nationalteam auf dem Platz, neun Jahre führte sie es als Kapitänin, zuletzt bei der Europameisterschaft 2022. Elf Jahre spielte sie für den FC Bayern, gewann zwei deutsche Meisterschaften und einen DFB-Pokal. Dann mit Arsenal die englische Meisterschaft. Nach der EM beendete sie ihre Profikarriere, gründete eine Agentur, hält heute Motivationsreden in großen Unternehmen und ist Fußball-Expertin im TV. Mit ihrer Frau Anna bekam die 34-Jährige 2024 eine Tochter. Wir wollten wissen, wie es ihr im männlich dominierten Sport erging.
Welche Skills braucht man als Frau, um sich in einer Männerwelt wie dem Fußball durchzusetzen?
Das Wichtigste ist, dass man sich nicht ständig vergleicht. Das frustriert auf Dauer, denn es gibt keine Lösung. Es hat mir geholfen, mich auf mich selbst zu fokussieren. Ich dachte mir damals: Okay, ich verdiene keine Millionen wie viele Männer, vermutlich ist mein Name nicht besonders bekannt, aber ich kann mindestens den gleichen Karriereverlauf haben. So spielte ich in der Champions League, war bei meinen Traumvereinen Bayern München und Arsenal, war im österreichischen Nationalteam Kapitänin, hörte die Hymne …
Der beste Antrieb ist die Performance-Orientierung, nicht Geld oder Ruhm.
Wie kommt ein Mädchen überhaupt darauf, Fußballerin werden zu wollen?
Als ich sechs Jahre alt war, fragten das tatsächlich alle. Heute gibt es viele Vorbilder im Frauenfußball, aber damals war das sehr ungewöhnlich. Ich hatte schlicht viele Jungs als Freunde, die Fußball spielten und meinten: Viki, komm mit. Anfangs war ich eher aus sozialen Gründen dabei. Ich bin in einem 500-Einwohner-Dorf aufgewachsen und wir trafen uns auf dem Dorfplatz. Mein Papa hatte in unserem Garten selbst gebaute Fußballtore aufgestellt. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass mir Fußball nicht nur Spaß macht, sondern dass ich eine große Leidenschaft dafür habe und Talent. Also bin ich dabeigeblieben.
Waren Sie das einzige Mädchen?
Das Einzige, das ausdauernd dabei war. Auch im Leistungsausbildungszentrum war ich das einzige Mädchen. In der Fußballakademie in Graz waren wir dann immerhin zu zweit – neben 26 Jungs. Als ich 15 Jahre alt war, wechselte ich zu den Frauen.
Waren Sie traurig über den Wechsel?
Nein, das hat gepasst, erstens hatten die Jungs körperlich schon den Schub gemacht und zweitens waren sie in der Pubertät oft kindisch. So habe ich mich bei den Frauen wohler gefühlt, obwohl ich anfangs die Jüngste war. Im Verein und im Nationalteam spielten auch 30-Jährige, ich war das Mädchen unter Frauen.
Hatten Sie in der Familie immer Unterstützung?
Ja, ohne meine Eltern hätte es nicht geklappt. Mein Bruder hat auch die Profi-Laufbahn eingeschlagen. Für Jungs gab es von Anfang an einfach alles: die Akademie, Jugend-Nationalteams, Leistungszentren. Meine Eltern wollten mir das Gleiche ermöglichen, es war aber immer ein Suchen nach Schlupflöchern. Wir mussten immer dafür kämpfen und teilweise auch betteln.
Fühlten Sie sich benachteiligt?
Ich empfand die fehlenden Möglichkeiten als ungerecht – auch, als ich mit 16 Jahren zum FC Bayern München ging. Die Jungs trainierten auf Rasen, wir auf Kunstrasen. Sie durften sich die Zeiten aussuchen, wir mussten uns danach richten. Sie waren groß in den Fanshops zu sehen, wir überhaupt nicht vertreten. Sie erhielten schon erste akzeptable Gehälter, ich bekam 200 Euro. Mein WG-Zimmer kostete 350. Ich musste sehr sparsam wirtschaften, denn ich wollte meinen Eltern nicht alles aufbürden. Ich habe tatsächlich erst in meinen letzten Profi-Jahren von meinem Gehalt leben können. Die Gehälter der Männer waren hundertmal so hoch.
Hat sich das verbessert?
Es hat sich einiges getan, vor allem, weil sich die Medien und Sponsoren im Frauenfußball mehr engagieren. Aber die Gehälter der Männer sind auch gestiegen, es geht mittlerweile um enorme Summen, etwa Ablösen von 200 Millionen, die wiederum die Spielerhonorare beeinflussen. Die Lücke bleibt. In den Vereinen haben auch heute fast nur Männer Macht.
Führt das zu übergriffigem Verhalten? Wie im Fall des spanischen Verbandschefs Luis Rubiales, der der Weltmeisterin Jennifer Hermoso nach dem WM-Finale einen Kuss aufzwang?
Ich persönlich habe so etwas nie erlebt. Aber in dieser Verhaltenskategorie gab es vor dem Skandal vermutlich schon ähnliche Situationen – nur ohne Rampenlicht. Als Frau im Fußball warst du unsichtbar und damit machtlos. Bei einem WM-Finale ist das anders: Mehr Sichtbarkeit geht nicht und nur deshalb ist das Thema so groß geworden. Der Aufschrei war sehr wichtig. Aber Jenni wurde der schöne Moment für immer genommen. Sie wird nie sagen können, der Weltmeistertitel war geil, denn alles bekam diesen Beigeschmack. Das ist schade für alle Mädels im spanischen Team, ihnen wurde die Freude vergällt.
Sie selbst sind die ganzen Jahre von Übergriffigkeiten verschont geblieben?
Ich habe verbalen Sexismus oft genug erlebt, das war ja vor 20 Jahren sogar akzeptiertes Verhalten. Das Problem war, dass du als Frau gefühlt dankbar sein musstest, dass du Fußball spielen durftest. Da wehrte man sich lieber nicht.
Sie sind jetzt auch TV-Expertin im Männerfußball, merken Sie Diskriminierung?
Social Media ist gefährlich. Man muss aufpassen, sich davon nicht herunterziehen zu lassen. Es gibt bodenlose Kommentare wegen der Tatsache, dass ich als Frau Expertin bin und noch dazu homosexuell. Das ist für viele ein richtiger Jackpot, ein Anlass, Hass zu verbreiten. Ich moderiere aus zwei Gründen trotzdem im TV: Erstens habe ich viel Spaß daran. Und zweitens motiviert es mich, künftigen Generationen den Weg zu ebnen. Es gibt junge Mädels, die sagen: Die ist im Fernsehen, also ist es möglich, ich will das auch mal machen.
Sie könnten sich Social Media einfach nicht mehr anschauen.
Da gibt es ja nicht nur Gemeines, es gibt auch Positives und Ermutigendes. Ich analysiere aber meine Auftritte nicht über Social Media, sondern mit meinem Coach. Dort bekomme ich konstruktives Feedback. Wenn der sagt: Viki, das war eine Top-Leistung, höre ich auf ihn und nicht auf die Kommentare. Aber ich bin ja aus dem Fußball, da muss man schon auch Kritik aushalten können.
Ist Homosexualität im Frauenfußball eher akzeptiert als bei den Männern?
Tatsächlich haben sich viel mehr Frauen geoutet. Bei den Männern ist es ein größeres Tabu. Das hat verschiedene Gründe: Die Fankultur bei den Männern ist oft eine alte, traditionelle, in der Werte wie Respekt und Toleranz noch nicht wie heute gelebt werden. Zudem stehen Männer stärker in der Öffentlichkeit, bieten eine breitere Angriffsfläche. Und dann kommen Stereotype hinzu, dass Männer gerade im Fußball mit Eigenschaften wie „maskulin“ und „hart“ assoziiert werden, da bleibt scheinbar kein Raum für Homosexualität. Ich glaube, dass viele Männer damit hadern. Sie dürfen keine Schwäche zeigen. Und das betrifft nicht nur die Fußballwelt.
Sie mussten so einige Niederlagen wegstecken. Wie schafft man das immer wieder? Den ersten Kreuzbandriss hatten Sie schon mit 17, als Sie gerade beim FC Bayern angefangen hatten …
Ich hatte in meiner Laufbahn acht Operationen am rechten Knie. Es war schon herausfordernd, jedes Mal zurückzukommen. Ich hatte auch Angst und Zweifel, aber immer ein Ziel. Ob das die Europameisterschaft oder die Champions League war oder dass ich nach elf Jahren bei den Bayern nach England wechseln wollte. Ich verfolge meine Pläne konsequent. Die EM 2022 für Österreich zu spielen, war mein letztes großes Projekt, danach habe ich meine Profikarriere beendet.
Wie ist es, wenn mit Anfang 30 die großen Ziele bereits abgehakt sind?
Das ist der springende Punkt. Ich stellte mir schon gelegentlich die Frage: Wer bist du eigentlich ohne Fußball? Aber das war vielleicht der Vorteil meiner vielen Verletzungen, ich habe mir früh Gedanken gemacht und mich parallel ausgebildet. In München machte ich mein Abitur, dann kamen der Bachelor in Sportmanagement und der Master in Wirtschaftspsychologie, alles während der Fußball-Karriere. Zudem habe ich meine Karriere als Rednerin strategisch geplant.
Sie sind nicht in das berühmte Loch gefallen, als Schluss war?
Ich hatte mich ja vorbereitet. Als Keynote-Speakerin berichte ich heute in großen Unternehmen über meine Erfahrungen: Wie gehen Erfolg und Gewinnen? Warum sind diverse Teams besser? Wie kann man aus Krisen gestärkt hervorgehen? Ich hatte mir das vorher konsequent aufgebaut. Statt Netflix zu gucken oder zu gamen, habe ich in meiner freien Zeit als Profi an meiner Zukunft gearbeitet. Das war rückblickend mein bestes Investment.
Souverän den eigenen Weg gehen? Viktoria Schnaderbecks Tipps
- Bleib dir treu. Sei authentisch und halte an deinen Werten und Zielen fest, egal, was von außen kommt.
- Mach dir klar, was du wert bist: Was kann ich leisten, wozu bin ich fähig? Und setze dann durch, dass das anerkannt wird. Das ist vor allem in einer Männerwelt sehr wichtig. Wir Frauen sind verantwortlich für unser Glück, das kann uns niemand abnehmen. Also warte nicht darauf, dass jemand dich auswählt.
- Vergleiche dich nicht. Weder mit anderen Frauen noch mit Männern. Im Fußball bedeutet das: Du läufst nie so schnell wie ein Mann, du schreist nicht so laut wie ein Mann, du tauschst nach dem Spiel nicht die Leibchen wie ein Mann. Sosehr du das auch anstreben würdest, an diesen Punkt wirst du nie kommen. Also bleib bei dir, arbeite an deinen Stärken und Talenten.
- Setze Grenzen. Man muss lernen, auch Nein sagen zu können. Akzeptiere, dass du es nicht immer allen recht machen kannst. Und wer Grenzen setzen kann, wird sich auch bei Sexismus wehren können.
- Finde dein Erfolgsteam. Du musst wissen, welche Leute dir Energie bringen – und welche Energie fressen. Wer will dich wirklich weiterentwickeln, wer will dich runterziehen? Denn ein gutes Team braucht jede und jeder.