Erholung im Urlaub und im Alltag – das rät eine Psychologin
Abschalten auf Knopfdruck? Im Urlaub Erholung zu finden, ist oft gar nicht so leicht. Dabei sind regelmäßige Auszeiten wichtig für unser Wohlbefinden. Wie klappt es mit der Entspannung am besten? Wie können wir das Urlaubsgefühl möglichst lange bewahren? Und wie können wir langfristig Stress im Alltag reduzieren? Wir haben mit der Arbeitspsychologin Karin Öberseder gesprochen.
Inhaltsverzeichnis
- Wie wichtig ist Urlaub für die Psyche?
- Wie viele Tage Urlaub braucht man zur Erholung?
- Was ist die beste Erholung im Urlaub?
- Wie kann man das Urlaubsgefühl möglichst lange bewahren?
- Wie findet man Erholung im Alltag?
- Selbstreflexion, Selfcare und Micro-Adventures
- Ein neues Stress-Mindset
- Tipps gegen akuten Stress
Mag.a Karin Öberseder ist klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin sowie zertifizierte Arbeitspsychologin mit eigener Praxis an den Standorten Wien und Eferding.
Wie wichtig ist Urlaub für die Psyche?
Dass Urlaub einen positiven Effekt auf unser körperliches und seelisches Wohlbefinden hat, wurde wissenschaftlich in vielen Studien belegt. „Es beginnt schon damit, dass wir uns im Urlaub meistens mehr bewegen als im Alltag. Das fördert den Abbau von Stresshormonen“, erklärt Öberseder. Wer sich länger im Freien aufhält, dessen Körper produziert außerdem mehr von den sogenannten „Glückshormonen“ Dopamin und Serotonin.Auch auf die Schlafqualität hat der Urlaub meist einen günstigen Einfluss. Allerdings kann es ein paar Tage dauern, bis man in den eigenen Biorhythmus gefunden hat. „Das klappt natürlich nicht, wenn jeder Urlaubstag streng durchgetaktet ist und die Erholung auf der Strecke bleibt“, schränkt die Psychologin ein.
Die körperlichen Veränderungen machen sich ebenso psychisch bemerkbar: „Generell ist Urlaub präventiv wirksam gegen Burnout-Symptome“, so die Expertin. Durch die räumliche und mentale Distanz zum Alltag und Beruf findet man oft zu Ideen, wie man an bestimmte Dinge anders herangehen könnte. Vielleicht probiert man sogar direkt etwas Neues aus, das man dann zu Hause weiterführen möchte.
Nicht zuletzt hat Urlaub auch eine soziale Dimension: „Eine gemeinsame Reise, mehr Zeit miteinander, das kann sehr verbindend sein“, weiß die Psychologin. „Wenn man mit vereinten Kräften eine Herausforderung meistert, dann kann das Familien und Paare zusammenschweißen oder Freundschaften vertiefen.“
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Wie viele Tage Urlaub braucht man zur Erholung?
Wann ist ein Urlaub zu kurz und wann zu lang? Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass Gesundheit und Wohlbefinden während des Urlaubs schnell ansteigen und am achten Urlaubstag ihren Höhepunkt erreichen. Ein erholsamer Urlaub sollte also mindestens acht Tage dauern. Eine Metaanalyse von 32 Studien aus neun Ländern fand heraus, dass die Erholung bei längeren Urlauben stärker ist, dafür fällt der Effekt nach der Rückkehr zur Arbeit auch steiler ab.„Die Erholung hängt allerdings stark vom aktuellen Stresslevel und der eigenen Persönlichkeit ab“, sagt Öberseder. Wer schon länger an chronischem Stress leidet, braucht länger, um zur Entspannung zu finden. Hat man für seinen Alltag hingegen gewisse Routinen und Strategien entwickelt, um regelmäßig den eigenen Stresspegel zu senken, dann erholt man sich im Urlaub wesentlich schneller. „Generell gibt es die Empfehlung, zwei bis drei Mal im Jahr einen Urlaub von jeweils sieben bis zehn Tagen mit ein bis zwei Puffertagen davor und danach zu machen. Dazwischen bringen Ausflüge und kürzere Urlaube Erholung“, so die Psychologin.
Was ist die beste Erholung im Urlaub?
Laut wissenschaftlichen Studien haben Urlaube, in denen man körperlich aktiv ist, den größten Effekt. Gesellige Aktivitäten wirken sich moderat auf das Erholungsempfinden aus, während passive Auszeiten am wenigsten Regeneration bringen.Was Menschen als erholsam empfinden, ist jedoch sehr individuell und abhängig von ihrem Alltag und Beruf. Wer im Job viel mit Menschen zu tun hat, der sehnt sich womöglich nach nichts mehr als einem einsamen Yoga-Retreat oder der Lektüre eines spannenden Buchs in der Hängematte. „Nicht nur für die Urlaubsgestaltung, auch für den Alltag ist es gut, sich immer wieder zu fragen: Was mache ich eigentlich gerne? Wo komme ich in den Flow? Was kann ich genießen?“, empfiehlt Öberseder.
Wer diese Fragen für sich noch nicht beantworten kann, der hat die Möglichkeit, unter restquiz.com kostenlos sein persönliches Erholungsprofil zu ermitteln (Englischkenntnisse erforderlich). Der Test basiert auf den sieben Formen der Erholung, die von der US-Ärztin Saundra Dalton-Smith definiert wurden: körperliche, geistige, emotionale, soziale, spirituelle, sinnliche und kreative Erholung.
Besonders wichtig ist das mentale Abschalten von der Arbeit. Und am besten drückt man auch gleich beim Smartphone und Laptop auf den Aus-Knopf. Denn eine Studie hat gezeigt, dass zwei Wochen ohne WhatsApp, Instagram & Co. die mentale Gesundheit signifikant verbessern. Einen strikten Digital Detox schaffen die wenigsten auf Anhieb, aber man könnte für den Anfang gewisse Offline-Zeiten festlegen, bei denen die elektronischen Geräte konsequent ausgeschaltet werden oder im Hotelzimmer bleiben.
Entscheidend für einen gelungenen Urlaub ist zudem die Vorbereitung. „Man sollte sich aber nicht alles zu voll planen, sondern Freiräume lassen für Spontaneität. So kann man Pläne auch mal umwerfen, wenn sie sich dann im Urlaub nicht richtig anfühlen und einem der Sinn nach einem anderen Programm steht“, sagt die Psychologin.
Für Menschen, die zusammen mit anderen verreisen, kann die Urlaubsgestaltung noch mal herausfordernder sein – schließlich möchten alle auf ihre Kosten kommen. „Hier sollte man sich unbedingt vorab austauschen: Was wünscht sich jeder vom Urlaub? Welche Erwartungen gibt es?“, rät die Expertin. So kann man Konflikten vorbeugen und etwaige Spannungen schon vor dem Urlaub aus dem Weg räumen.
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Wie kann man das Urlaubsgefühl möglichst lange bewahren?
Kaum ist man aus dem Urlaub zurück, wartet schon eine lange To-do-Liste oder ein überquellender Posteingang auf einen und die Erholung verpufft im Nu? Dieses Phänomen kennen viele, es hat sogar einen eigenen Namen: Post-Holiday-Syndrom. Manche Studien ergaben, dass bereits innerhalb der ersten Arbeitswoche nach einem Urlaub das Erholungsempfinden wieder auf dem Ausgangsniveau ist. Die bereits zitierte, umfassende Metastudie kam zu einer etwas erfreulicheren Erkenntnis: Demnach liegt das durchschnittliche Wohlbefinden im Alltag auf einer Fünf-Punkte-Skala bei 2,93 und steigt während des Urlaubs auf 3,69 an. Nach der Rückkehr sinkt der Wert klarerweise ab – allerdings nicht so schnell. Erst nach rund 43 Tagen ist der Ausgangswert wieder erreicht.Und wie schafft man es, das Post-Holiday-Syndrom möglichst lange hinauszuzögern? „Ein Tipp wäre, schon im Urlaub bei schönen Momenten kurz innezuhalten und in sich hineinzuspüren: Was sehe, rieche, höre, schmecke, fühle ich? Wenn man diese Empfindungen abspeichert, dann kann man sie im Alltag wieder abrufen – wie eine kleine Fantasiereise“, empfiehlt Öberseder.
Um die Erinnerungen an den Urlaub wachzuhalten, gibt es verschiedene Möglichkeiten: etwa Urlaubsfotos betrachten oder anderen von der Reise und seinen Erlebnissen erzählen. Oder kleine Rituale aus dem Urlaub in den Alltag mitnehmen – beispielsweise, indem wir auch zu Hause das nach Kokos duftende Duschgel verwenden, mit dem wir uns im Urlaub gewaschen haben. Ein Tee oder exotische Gewürze können uns ebenso den Alltag mit ein wenig Reisefeeling versüßen.
„Und: Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub! Für viele ist es entspannend, schon bald die nächste Auszeit zu planen und eine gewisse Vorfreude aufzubauen“, so die Psychologin. Manche Studien legen sogar nahe, dass die Vorfreude auf einen Urlaub glücklicher machen kann als der Urlaub selbst.
Wie findet man Erholung im Alltag?
Urlaub ist zwar wichtig, doch er ist keine Kompensation dafür, wenn unser Alltag nur aus Stress und Hektik besteht. „Mein Motto lautet daher: ‚Lebe ein Leben, von dem du keinen Urlaub brauchst.‘“, verrät Öberseder. „Wir wollen schließlich ein gelungenes Leben führen und uns nicht ständig im Überlebensmodus befinden.“Selbstreflexion, Selfcare und Micro-Adventures
Regelmäßige Selbstreflexion kann dabei helfen, dem guten Leben nachzuspüren. Vielleicht gibt es einen besonderen Ort, wo wir uns gut entspannen können und zur Ruhe kommen. Wo wir uns fragen können: Wie geht es mir momentan? Brauche ich Veränderung? Wenn ja, was kann ich verändern? Was hat mir in der Vergangenheit geholfen? Wofür empfinde ich Dankbarkeit? „All diese Fragen können uns dazu anleiten, unser Leben so zu gestalten, dass es unseren Bedürfnissen entspricht“, sagt die Expertin.Dabei sollten wir stets offenbleiben, denn im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Es gibt immer wieder Aufs und Abs, auf schwierigere Phasen folgen wieder bessere Zeiten. „Wir müssen im Leben das Unerwartete erwarten, Perfektionismus durch Pragmatismus ersetzen“, plädiert Öberseder. „Was ich lösen kann, löse ich. Alles andere darf ich loslassen. Oft fällt einem das leichter, wenn man sich überlegt: Würde ich mit 80, 90 Jahren auf mein Leben zurückblicken, welchen Rat würde ich meinem Vergangenheits-Ich geben?“ Aus dieser imaginierten zeitlichen Distanz erscheinen viele Probleme plötzlich unwichtig oder zumindest lösbar.
Die Expertin empfiehlt zudem, sich für den Alltag eine „Schöner-Leben-Liste“ zu schreiben. Darauf kommen alle Dinge, die einem guttun. So kann man in stressigen Zeiten gleich auf einen Vorrat an guten Ideen zur Selbstfürsorge zurückgreifen. „Dazu zählt auch eine gute Ernährung. Ein Spaziergang nach der Arbeit zum Runterkommen. Selbst solche Kleinigkeiten, wie sich selbst liebevoll einzucremen, denn durch die Berührung schüttet der Körper Oxytocin aus“, so die Psychologin.
Vielleicht steht einem der Sinn aber weniger nach Entspannung und Erholung, sondern mehr nach Abwechslung? „Kleine Abenteuer, sogenannte Micro-Adventures, reißen uns aus dem Alltagstrott“, regt Öberseder an. Sei es ein Konzertbesuch oder ein Kreativ-Workshop, an dem man zusammen mit Freundinnen und Freunden teilnimmt – so lassen sich ohne viel Aufwand kleine Erlebnisinseln ins normale Leben integrieren, auf die wir uns freuen können und von denen wir lange zehren.
Ein neues Stress-Mindset
Generell spricht sich Öberseder dafür aus, unsere Einstellung zu Stress zu überdenken. „Wirklich belastend und schädlich ist im Grunde der chronische, längerfristige Stress, der zu körperlichen Beschwerden wie Herzrhythmusstörungen sowie zu Angststörungen und Depressionen führen kann“, erklärt die Psychologin. Daneben gibt es aber auch einen positiven Stress, der aktivierend sein und uns lebendig halten kann. Dieser wird in der Psychologie als „Eustress“ bezeichnet: Die jeweilige Situation wird als herausfordernd, aber bewältigbar erlebt – dadurch können Motivation und Engagement gesteigert werden. Anders ist es beim „Distress“, der zu einem Gefühl der Überforderung führt.Nicht zuletzt ist Stress eine Reaktion auf äußere Umstände, die gewisse Emotionen hervorrufen, die wir nicht immer als angenehm empfinden. „Unsere Gefühle sind oft negativ besetzt, dabei haben sie eine wichtige Funktion. Angst beispielsweise hilft uns, auf Bedrohungen zu reagieren. Wut hilft uns, Grenzen zu setzen“, erklärt Öberseder. Es ist wichtig, in sich hineinzuhören: Warum bin ich gestresst? Was will mein Körper mir sagen? Wer Schwierigkeiten hat, eine Verbindung zu den eigenen Gefühlen und Körperempfindungen aufzubauen, dem legt sie ein Coaching oder eine Therapie nahe.
Tipps gegen akuten Stress
Mit akuten Stresssituationen kann ein gesunder Mensch in der Regel gut umgehen. „Die ausgeschütteten Stresshormone werden schnell wieder abgebaut, meist innerhalb einer halben Stunde“, weiß die Expertin.Dabei können körperorientierte Strategien und Methoden helfen. „Bewegung ist immer hilfreich, etwa schnelles Spazierengehen. Oder mit den Füßen fest auf den Boden stampfen, zu Musik tanzen oder alle Gefühle ‚rausschütteln‘“, nennt die Psychologin ein paar Tricks. „Auch mit meiner Körperhaltung kann ich meine Stimmungen und Gefühle bewusst verändern und steuern.“ Sogenannte Power-Moves wie aufrechtes Sitzen, die Arme nach oben zu bewegen oder einen stabilen, breitbeinigen Stand einzunehmen, wirken sich innerhalb weniger Minuten positiv auf die Psyche aus. Manchen hilft es bei großer Anspannung, ein scharfes Zuckerl zu lutschen oder eine kalte Dusche zu nehmen.
Bestimmte Atemtechniken bringen den Körper dazu, die Anspannung herunterzufahren und zu entspannen. Atemübungen haben eine Jahrtausende alte Tradition, etwa im Yoga. Das Tolle daran ist, dass sie sich leicht in den Alltag integrieren lassen. Wie Studien zeigen, haben schon fünfminütige Atem-Einheiten einen spürbaren positiven Effekt. Eine einfache Übung ist die regenerative 4-6-8-Atmung: „Dabei atmet man vier Sekunden lang durch die Nase ein, hält den Atem sechs Sekunden lang und atmet acht Sekunden lang durch den Mund aus. Wichtig ist vor allem, länger aus- als einzuatmen“, betont Öberseder.
Auch die progressive Muskelentspannung kann eine Strategie sein, um Stress zu mindern und in der Folge dem Körper zu Erholung und Entspannung zu verhelfen. Dabei werden willentlich und bewusst bestimmte Muskelpartien an- und wieder entspannt. „Wer im Alltag nicht so viel Zeit hat, kann das auch nebenbei machen, zum Beispiel die Fäuste ballen und wieder lockerlassen“, sagt die Expertin.
Wer gar nicht mehr aus dem gedanklichen Hamsterrad findet, dem empfiehlt die Psychologin, einen „Grübel-Timeslot“ festzulegen: Diese vorab fixierte Zeitspanne ist dafür reserviert, seine Sorgen bewusst wahrzunehmen und sich auf sie zu konzentrieren. So ist in der restlichen Zeit der Kopf frei für andere Dinge.